Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
in Amsterdam.
Doch die Probleme fingen dort erst an. Auf unerklärliche Weise ist mir immer wieder Geld abhandengekommen. Es verschwand immer mehr aus meinem Portemonnaie, mal 50, mal 100 Euro. Beckermann tat dann immer so, als hätte es der nette Grieche aus dem Zimmer nebenan gestohlen.
Er legte sogar, wie sich viel später herausstellen sollte, sein Portemonnaie in dessen Zimmer, als die Putzfrau gerade sauber machte. Und dann beschuldigte er ihn in meiner Gegenwart, ein Dieb zu sein. Doch der Grieche war ein ehrlicher Kerl, was ich daran festmachte, dass er extra nach Amsterdam gekommen war, um sich hier in einem Prozess zu stellen, weil er ein Jahr zuvor ein holländisches Auto mit einem Mietmotorrad angefahren hatte. Das hätte er nicht machen müssen, aus Athen nach Amsterdam kommen. Aber er war da – und sicher nicht, um Beckermanns ollen Geldbeutel zu stehlen.
Die Pensionsbetreiberin, eine alte Deutsche, die einst in der Sonnenallee gelebt hat und vor Hitler abgehauen war, bemerkte dann auch schnell: Da stimmt etwas nicht mit den drei Berlinern. So ließ sie uns nach nur vier Tagen aus dem Zimmer neben dem Griechen aus- und in das Dachgeschoss einziehen. Sie hatte offenbar so furchtbare Angst vor uns, dass sie sich jemanden zum Schutz holte. Plötzlich war da immer ein großer, bulliger Kerl unten bei ihr. Ich habe keine Ahnung, ob Beckermann sie bedroht hat.
Zu mir sagte er nur immer, dass bei der Alten etwas nicht stimme, dass die etwas von uns haben wolle, dass er ihr und ihrem Schutzmann nicht traue und die uns womöglich beklaut hätten. Zunächst glaubte ich ihm. Aber eigentlich wusste ich schon lange nicht mehr, wem ich trauen konnte, und als dann auch noch die alte Dame behauptete, dass ihr 10.000 Euro abhandengekommen seien, uns beschuldigte und aus ihrem Haus rausschmiss, da war ich schon vollends am Ende.
Dabei war erst eine Woche vorbei, seit wir Deutschland verlassen hatten.
Die Pensionsinhaberin konnte uns nicht anzeigen, weil es Schwarzgeld war, das ihr angeblich geklaut wurde. Das war mein einziges Glück. Aber ich verzweifelte, weil ich einfach nicht wusste, wohin mit uns. Wir hatten so viel Gepäck, aber wenig Geld, ich konnte doch nicht 200 oder 300 Euro am Tag nur für eine Unterkunft zahlen?
Am Amsterdamer Bahnhof sprach ich mehrere Leute an, ob sie einen Tipp für uns hätten, und so kamen wir letztlich auf einem Campingplatz beim Flughafen Schiphol unter, ewig weit von der Innenstadt entfernt, in einer Holzhütte. Es war Juli, aber unglaublich kalt, und gleich am ersten Tag bekamen wir auch dort Ärger, weil Hunde auf dem Areal angeblich nicht erlaubt waren. Wir einigten uns nach langer Diskussion mit dem Platzwart darauf, dass ich Leon zu Freunden nach Amsterdam bringe. Die es natürlich gar nicht gab.
Ich zahlte 100 Euro für ein Zimmer mit zwei Hochbetten, an denen wir uns andauernd die Köpfe stießen. Hinzu kamen pro Tag noch 5 Euro für die Heizung; auch Duschen kostete einen Euro extra pro Person. Das habe ich mir gespart – und sah bald so aus, wie man auf dem Campingplatz eben aussieht: Jogginganzug, die Haare hochgebunden, ungeschminkt. Beckermann passte das gar nicht, er warf mir ständig vor, ich ließe mich gehen. Er machte mich fertig.
Uns ging das Geld aus, nach fast vier Wochen waren nur noch knapp 1.000 von 5.000 Euro übrig geblieben. Und Beckermann wollte nichts beisteuern. Ich geriet eigentlich nur noch in Panik, denn nichts funktionierte. Mehrere Schulen habe ich für Phillip besucht und fast ein Dutzend Wohnungsbesichtigungen hinter mich gebracht. Aber überall sagte man uns: „First, please, solve your problems in Germany“ – Lösen Sie bitte zuerst Ihre Probleme in Deutschland. Wegen der Freizügigkeit in der EU kann man zwar ohne Probleme einen Erst- oder Zweitwohnsitz in den Niederlanden anmelden – aber nicht ohne Einkommensnachweis. Zwar habe ich in Berlin einen Buchhalter, aber wie sollte das alles jetzt so schnell funktionieren? Bis er Einkommensnachweise, Steuernummer und Bankunterlagen geschickt hätte, wären Wochen vergangen.
Ich kann leider keinen Computer bedienen, und ich wollte nicht, dass Beckermann sich darum kümmerte. Hätte er die Papiere in die Hände bekommen, wäre ich komplett ruiniert gewesen.
Ohne Sozialversicherungsnummer kam ich nicht einmal in ein Methadonprogramm – und somit auf Entzug. Es war mir ständig übel, ich schwitzte sehr stark und bekam andauernd Schüttelfrost, litt unter
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