Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
Verbleibs von Betäubungsmitteln zur Substitution. Das Gesetz sei aber mit der Praxis kaum vereinbar, klagen Ärzte, denn immer wieder gibt es Mediziner, die sich im Rahmen ihrer Substitutionsbehandlung strafbar machen – meistens in ländlichen Gebieten. Warum, das zeigt ein Beispiel aus Bayern.
Bis Januar 2013 gab es in den elf Landkreisen Niederbayerns genügend Substitutionsärzte, um flächendeckend eine gute suchtmedizinische Betreuung zu gewährleisten. Das hat sich binnen weniger Wochen geändert, nachdem eine unter Kollegen angesehene Ärztin beschuldigt wurde, gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen zu haben. Das Problem war, dass sie, wie viele andere Ärzte auf dem Land, nicht nur Substitution durchführt, sondern auch als Allgemeinmedizinerin tätig ist. Aus diesem Grund hatte sie die Methadonvergabe auf die Vormittage, bis 12 Uhr, beschränkt. Da ein regulär arbeitender Substitutionspatient also seine Arbeit vernachlässigen müsste, um während dieses Zeitraums in die Praxis zu kommen, verschrieb die Ärztin einem berufstätigen Mann sein Methadon auf Rezept zur Einnahme zu Hause.
Eine Take-home-Vergabe ist aber, anders als in vielen europäischen Ländern, in Deutschland an eine Vielzahl strenger Bedingungen und Auflagen geknüpft. Der Heroinersatzstoff darf in jedem Fall nur für einen Zeitraum von maximal sieben Tagen am Stück verschrieben werden, bei Auslandsreisen für bis zu 30 Tage.
Die Ärztin aus Niederbayern glaubte, dass die Arbeitszeit des Patienten ein triftiger Grund sei, Methadon über einen längeren Zeitraum zu verschreiben. Doch das sah jemand anders. Die Ärztin wurde angezeigt und erhielt einen Strafbefehl über 180 Tagessätze – den nahm sie an.
Was sie nicht wusste: In Deutschland gilt man ab einem Strafbefehl von 90 Tagessätzen als vorbestraft. Der Mutter zweier Kinder wurde wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz die Approbation entzogen.
Als ihr Fall bekannt wurde, stellten mehrere Ärzte im Landkreis ihre Arbeit in der Substitutionsbehandlung ein, um sich vor einem ähnlichen Schicksal zu schützen. Leidtragende sind die Patienten, von denen viele dank der Substitution einem geregelten Berufsleben nachgehen.
Mehrere internationale Studien belegen, dass eine liberale Take-home-Vergabe weder den Suchtverlauf noch Patientenleben gefährdet. Doch in kaum einem medizinischen Bereich dauere es so lange, bis wissenschaftliche Ergebnisse in die therapeutische Praxis einfließen, wie in der Drogen- und Suchtarbeit, klagen Experten. Den Grund hierfür sehen sie in der Gesellschaft, die Rausch zwar weitgehend akzeptiere, Süchtige aber verachte. Eine weitere Liberalisierung der Take-Home-Vergabe auf etwa mehr als sieben Tage sei politisch nicht durchsetzbar.
Jahrelange wissenschaftliche und praktische Arbeit der Drogensuchtmedizin und der Drogenhilfe bestätigt die Erkenntnis, dass vor allem die Würde der betroffenen Person im Vordergrund stehen muss. Das hat unter anderen eine Studie ergeben, die 2010 im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit vom Institut für Suchtforschung der Fachhochschule Frankfurt am Main durchgeführt wurde.
Suchtarbeit ist Beziehungsarbeit für alle beteiligten Personen. Nur wer das Vertrauen der langzeitabhängigen Patienten gewinnt, kann auch positiven Einfluss auf deren Krankheitsverlauf nehmen.
Betroffene Interviewte beschreiben im Rahmen dieser Studie, dass sie das Gefühl haben, an vielen Orten nicht erwünscht zu sein. Einige berichten davon, dass Menschen, bei denen sie zu Besuch sind, aus Angst davor, bestohlen zu werden, alles abschließen, selbst Familienangehörige. „Naja, ich mach’ halt auch Dinge, die macht nicht jeder Mensch. Ja! Und dann guckt mich halt jeder so merkwürdig an“, erzählte eine befragte Drogensüchtige.
Ausgrenzung und Diskriminierung erleben viele Suchtkranke nicht nur in der Normalbevölkerung, sondern auch im Drogenmilieu – vor allem jene, die HIV-positiv oder schon an AIDS erkrankt sind und das nicht verheimlichen.
Aus Scham oder Angst vor Problemen meiden viele Opiatabhängige auch den Kontakt zu ihren eigenen Familien. Von den 50 Drogenabhängigen, die von den Frankfurter Forschern befragt wurden, hatten 30 Personen gar keinen Kontakt mehr zu Verwandten. Die meisten nannten ihre Drogenabhängigkeit als Grund für den Beziehungsabbruch und berichteten von Erfahrungen mit Stigmatisierung durch die Eltern und andere Familienangehörige, die ihnen ständig
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