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Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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oder Metalldetektoren zu erwerben. Er wünschte sich von ganzem Herzen, »seine Freunde zum Staunen zu bringen« oder »seine V erwandten zu überraschen« – auch wenn seine einzigen Freunde die drei Idioten waren, mit denen er bei seiner Firma NorChemPharm zusammenarbeitete, und seine V erwandten längst auf dem Friedhof hinter dem New American Faith Tabernacle lagen. Bing hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, dass die Heftchen seines V aters – die in einem Karton in Bings V ersteck vor sich hin rotteten – älter waren als er selbst und die meisten der Firmen, denen er Geld schickte, schon lange nicht mehr existierten.
    Die Anzeige für dieses sogenannte Christmasland löste jedoch eine ganz andere Reaktion bei ihm aus. Sein unbeschnittener und leicht nach Hefe riechender Penis wurde in seiner linken Hand schlagartig schlaff. Er hatte ihn völlig vergessen. Seine Seele glich einem Kirchturm, in dem alle Glocken gleichzeitig zu läuten begonnen hatten.
    Er hatte keine Ahnung, was dieses Christmasland war oder wo es sich befand. Er hatte noch nie davon gehört. Und dennoch hatte er augenblicklich das Gefühl, dass er dorthin gehörte … um über die Kopfsteinpflasterstraßen zu laufen, unter den Straßenlaternen hindurch, die wie große Zuckerstangen aussahen, und den schreienden Kindern dabei zuzusehen, wie sie sich auf dem Rentierkarussell im Kreis drehten.
    Was würden Sie für eine lebenslang gültige Eintrittskarte zu einem Ort tun, wo jeden Tag Weihnachten ist?
    Bing war zweiundvierzig Jahre alt, aber wenn er an Weihnachten dachte, dann immer nur an diesen einen Weihnachtsmorgen. Seine Mutter hatte Zuckerkekse in der Form von Weihnachtsbäumen gebacken, und das ganze Haus roch nach V anille. Das war Jahre, bevor ein Balkennagel sich in den Frontallappen seines V aters bohren würde, und an jenem Morgen saß John Partridge mit Bing auf dem Boden und sah gespannt zu, wie dieser seine Geschenke aufriss. Bing erinnerte sich besonders an das letzte Geschenk: ein großer Karton, der eine riesige Gummigasmaske und einen verbeulten Helm enthielt, der an manchen Stellen schon ein wenig angerostet war.
    »Das ist die Ausrüstung, die mich in Korea am Leben erhalten hat«, sagte sein V ater. »Sie gehört jetzt dir. Für mindestens drei Schlitzaugen war diese Gasmaske der letzte Anblick ihres Lebens.«
    Bing zog die Gasmaske über und blickte durch die klaren Plastikscheiben seinen V ater an. Mit der Gasmaske vor dem Gesicht wirkte das Wohnzimmer so, als würde es sich im Inneren eines Kaugummiautomaten befinden. Sein V ater setzte ihm den Helm auf und salutierte. Bing machte es ihm nach.
    »Na, wen haben wir denn da?«, sagte sein V ater. »Den kleinen Soldaten, über den alle reden. Mr. Unaufhaltsam. Gefreiter Küsst-mir-den-Arsch. Hab ich recht?«
    »Gefreiter Küsst-mir-den-Arsch meldet sich zum Dienst, Sir«, sagte Bing.
    Seine Mutter lachte ihr sprödes, nervöses Lachen und sagte: »John, doch nicht solche Wörter bitte. Es ist Weihnachten. Das gehört sich nicht. Schließlich heißen wir heute unseren Retter auf dieser Welt willkommen.«
    »Mütter«, sagte John Partridge zu seinem Sohn, nachdem Bings Mutter wieder in der Küche verschwunden war, um den Kakao zu holen. »Wenn man sich nicht wehrt, kommt man nie von ihrer Brust weg. Andererseits … es gibt Schlimmeres, oder?« Er zwinkerte Bing zu.
    Draußen fiel der Schnee in großen Gänsefederflocken vom Himmel, und sie blieben den ganzen Tag zu Hause. Bing trug den Helm und die Gasmaske und spielte Krieg. Wieder und wieder erschoss er seinen V ater, der ein ums andere Mal aus seinem Sessel vor dem Fernseher fiel und starb. Einmal tötete Bing auch seine Mutter, die gehorsam die Augen schloss und eine ganze Werbepause lang reglos liegen blieb. Sie wachte erst wieder auf, als er die Gasmaske abnahm und sie auf die Stirn küsste. Dann lächelte sie und sagte: Möge Gott dich beschützen, mein kleiner Bing Partridge. Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt.
    Was würde er dafür tun, um sich jeden Tag so zu fühlen? So als wäre Weihnachten und unter dem Tannenbaum würde eine echte Gasmaske aus dem Koreakrieg auf ihn warten? Um zu sehen, wie seine Mutter die Augen öffnete und sagte: Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt. Die Frage war eher, was würde er nicht dafür tun?
    Er hatte schon drei Schritte zur Tür gemacht, ehe ihm einfiel, sich die Hose hochzuziehen.
    Nachdem sein V ater nicht mehr arbeiten konnte, hatte seine Mutter

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