Christmasland (German Edition)
hat behauptet, dass du verletzt wurdest.«
V ic wurde bewusst, dass Lou noch gar nicht die ganze Geschichte gehört hatte. Niemand hatte ihm gesagt, was passiert war.
Sie erzählte es ihm. Anfangs wiederholte sie nur, was sie auch Hutter und den anderen Ermittlern gesagt hatte. Die Geschichte kam ihr jetzt schon wie etwas vor, was sie für ein Theaterstück auswendig gelernt hatte. Ihr Text, den sie wiedergeben konnte, ohne darüber nachdenken zu müssen.
Aber dann berichtete sie ihm davon, wie sie mit der Triumph auf Probefahrt gegangen war, und ihr fiel ein, dass sie den Teil mit der Brücke gar nicht auslassen musste. Sie konnte ihm davon erzählen, dass sie die Shorter Way im Nebel gefunden hatte. Sie musste es sogar. Denn es war wirklich passiert.
»Ich habe die Brücke gesehen«, sagte sie ruhig und richtete sich auf, um ihm ins Gesicht zu schauen. »Ich bin hineingefahren, Lou. Ich habe danach gesucht und habe sie gefunden. Glaubst du mir das?«
»Natürlich. Ich habe dir auch schon geglaubt, als du mir das erste Mal davon erzählt hast.«
»Lügner«, sagte sie, aber sie konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Er streckte die Hand aus und legte sie auf ihre linke Brust. »Warum sollte ich dir nicht glauben? Es ist die einleuchtendste Erklärung für all das, was dir passiert ist. Und du kennst ja dieses Akte-X -Poster: ›I want to believe‹. Das ist mein Lieblingsmotto. Also, erzähl weiter. Du bist über die Brücke gefahren. Und dann?«
»Ich bin nicht drübergefahren. Ich habe Angst bekommen, Lou. Ich dachte, es sei eine Halluzination und ich sei wieder verrückt geworden. Ich habe so heftig auf die Bremse getreten, dass ein paar Teile vom Motorrad abgefallen sind.«
Sie berichtete ihm davon, wie sie mit geschlossenen Augen und zitternden Beinen umgekehrt war und die Triumph von der Brücke geschoben hatte. Sie beschrieb ihm die Geräusche im Inneren der Brücke, das Zischen und Tosen, als würde sie hinter einem Wasserfall stehen. Sie hatte gewusst, dass die Brücke verschwunden war, als die Geräusche verstummt waren, und dann hatte sie sich auf den langen Weg zurück nach Hause gemacht.
Danach erzählte sie ihm davon, wie Manx und der andere Mann auf sie gewartet hatten und Manx sie mit dem Hammer geschlagen hatte. Lou schimpfte und fluchte die ganze Zeit. Als sie beschrieb, wie sie Manx mit dem Hakenschlüssel das Gesicht aufgeschlitzt hatte, sagte er: »Ich wünschte, du hättest ihm das Ding in den Schädel gerammt.« Sie versicherte ihm, dass sie ihr Bestes gegeben hatte. Und als sie zu der Stelle kam, an der der Gasmaskenmann Manx ein Ohr abschoss, schlug Lou sich mit der Faust aufs Bein. Er hörte gebannt zu, sein ganzer Körper war angespannt wie ein schussbereiter Bogen.
Er unterbrach sie erst, als sie ihm erzählte, wie sie auf der Flucht vor den Männern zum See hinuntergelaufen war.
»Das war der Moment, als Wayne mich angerufen hat«, sagte er.
»Was ist am Flughafen wirklich passiert?«, fragte sie.
»Wie schon gesagt, ich hatte einen Schwächeanfall.« Er rollte seinen Kopf hin und her, als wollte er seinen Nacken lockern. Dann fuhr er fort: »Diese Karte. Die Straße zum Christmasland. Was ist das für ein Ort?«
»Ich weiß es nicht.«
»Er liegt nicht in unserer Welt, oder?«
»Keine Ahnung. Wahrscheinlich ist es schon unsere Welt. Jedenfalls eine V ersion davon. Die V ersion, die Charlie Manx im Kopf hat. Wir leben alle in zwei Welten, nicht wahr? Zum einen in der tatsächlich existierenden … und dann gibt es noch die innere Welt, die Welt der Gedanken. Sie besteht aus Ideen statt aus Dingen. Sie ist genauso real wie die echte Welt, aber sie existiert nur in unserem Inneren. Man nennt das Ingestalt . Jeder von uns besitzt eine solche Ingestalt, und sie sind alle miteinander verbunden, so wie New Hampshire mit V ermont verbunden ist. Manche Menschen können sich in dieser Gedankenwelt bewegen, wenn sie das richtige Fahrzeug besitzen. Den richtigen Schlüssel. Das kann ein Auto sein oder ein Motorrad. Etwas in der Art.«
»Wie kann deine Gedankenwelt mit meiner verbunden sein?«
»Ich weiß es nicht genau. Aber … stell dir vor, Keith Richards schreibt einen Song, und du hörst ihn im Radio. Dann hast du seine Gedanken im Kopf. Meine V orstellungen können genauso leicht in deinen Kopf gelangen, wie ein V ogel eine Bundesstaatengrenze überquert.«
Lou runzelte die Stirn und sagte: »Manx bringt die Kinder also irgendwie aus der realen Welt in seine
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