Christmasland (German Edition)
geistiger Umnachtung Wayne selbst umgebracht hatte. Ihn und den Hund. Und dass sie Waynes Leiche im See versenkt hatte. Was die Schüsse anging, so war die Polizei auf V ics Aussage angewiesen. Bislang war nicht eine einzige Kugel oder Patronenhülse gefunden worden. Die Kugeln waren im Wasser versunken und die Messinghülsen in der Waffe geblieben. Der Zaun war zerschmettert und der V orgarten umgepflügt – das war der einzige Teil von V ics Geschichte, den die Polizei sich noch nicht richtig erklären konnte. Aber früher oder später würde ihnen auch dafür eine Erklärung einfallen. Sie würden sich einfach etwas Passendes ausdenken.
Sie hielten V ic für eine Susan Smith, diese Frau aus South Carolina, die ihre eigenen Kinder ertränkt und dann behauptet hatte, sie seien von einem Schwarzen entführt worden. Eine Woche lang hatten Ausbrüche von Rassenhass die ganze Nation erschüttert. Deshalb wurde im Fernsehen Manx’ Name nicht erwähnt. Die Ermittler glaubten nicht, dass er der Täter war. Sie waren nicht einmal überzeugt davon, dass überhaupt eine Entführung stattgefunden hatte, spielten aber für den Augenblick mit, vermutlich um sich rechtlich abzusichern.
V ic trank den Rest ihres Kaffees aus, stellte die Tasse ins Spülbecken und ging durch die Hintertür nach draußen.
Hinter dem Haus war sie allein. Sie ging durch das taufeuchte Gras zur Remise und blickte durch das Fenster hinein.
Lou lag auf dem Boden neben dem Motorrad und schlief. Die Maschine war auseinandergebaut, die V erkleidungsbleche waren abgenommen, und die Kette hing lose herab. Lou hatte sich eine zusammengefaltete Abdeckplane als Kissen unter den Kopf geschoben. Seine Hände waren ölverschmiert. Auf seinen Wangen befanden sich schwarze Fingerabdrücke an den Stellen, wo er sich im Schlaf berührt hatte.
»Er hat die ganze Nacht da drinnen gearbeitet«, hörte sie hinter sich eine Stimme sagen.
Daltry war ihr auf den Rasen hinaus gefolgt. Er hatte den Mund zu einem Grinsen verzogen, das einen Goldzahn enthüllte. In einer Hand hielt er eine Zigarette.
»Habe ich schon oft gesehen. So reagieren Leute, wenn sie sich hil fl os fühlen. Sie glauben gar nicht, wie viele Frauen stricken, während ihr Kind auf dem Operationstisch liegt. Wenn man sich hil fl os fühlt, tut man alles Mögliche, um nicht nachdenken zu müssen.«
»Ja«, sagte V ic. »Sie haben recht. Er ist Mechaniker. Anstatt zu stricken, repariert er Maschinen. Kann ich eine Zigarette haben?«
Sie hoffte, das würde ihre Nerven beruhigen.
»Ich habe im Haus keine Aschenbecher gesehen«, sagte Daltry. Er holte eine Packung Marlboros aus seinem schäbigen Mantel und schüttelte eine Zigarette heraus.
»Ich habe für meinen Sohn aufgehört«, sagte sie.
Er nickte, ohne zu antworten. Er holte ein Feuerzeug hervor, ein großes Messing-Zippo mit einem Cartoonbildchen auf der Seite. Er betätigte knirschend das Rädchen, aber es kamen nur Funken.
»Ist fast leer«, sagte er.
V ic nahm es entgegen, drehte ebenfalls am Rädchen, und eine kleine gelbe Flamme sprang aus der Spitze hervor. Sie zündete die Zigarette an und schloss die Augen, während sie den Rauch einatmete. Es war, als würde sie in eine warme Badewanne gleiten. Seufzend blickte sie auf und betrachtete das Bildchen an der Seite des Feuerzeugs. Popeye ließ seine Faust vorschnellen. KABUMM , stand in einer gelben Explosion.
»Wissen Sie, was ich merkwürdig finde?«, sagte Daltry, während V ic erneut an der Zigarette zog und den süßen Rauch einatmete. »Dass diesen alten Rolls-Royce bisher niemand gesehen hat. Wie kann ein solches Auto unbemerkt bleiben? Überrascht es Sie nicht, dass er niemand aufgefallen ist?«
Er beobachtete sie mit lauerndem Blick.
»Nein«, sagte sie, was die Wahrheit war.
»Nein«, wiederholte Daltry. »Es überrascht Sie nicht. Was meinen Sie, wie das kommt?«
»Manx versteht sich darauf, unbemerkt zu bleiben.«
Daltry drehte den Kopf und blickte aufs Wasser. »Das ist schon was. Zwei Männer in einem Rolls-Royce Wraith aus dem Jahre 1938. Ich habe in einer Online-Datenbank nachgesehen. Wussten Sie, dass es auf der ganzen Welt höchstens noch vierhundert Exemplare dieses Wagens gibt? Und in unserem Land weniger als einhundert. Das ist ein verdammt seltenes Auto. Und Sie sind die Einzige, die es gesehen hat. Wahrscheinlich haben Sie das Gefühl, verrückt zu werden.«
»Ich bin nicht verrückt«, sagte V ic. »Ich habe eine Scheißangst. Das ist ein
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