Christmasland (German Edition)
betätigt. Die Flasche explodierte, und das weiße, brennende Gas und die Metallsplitter rissen den Mann von den Füßen und schleuderten ihn gegen die Tür. Dreihundert Liter unter Druck stehenden Sevoflurans hatten den Kanister in eine riesige Stange TNT verwandelt. Die Explosion war unbeschreiblich laut – es war, als würde jemand mit Nadeln in V ics Trommelfelle stechen.
Der Gasmaskenmann wurde mit solcher Wucht gegen die Eisentür geschleudert, dass diese beinahe komplett aus der V erankerung gerissen wurde. Einen Moment lang verschwand der halbe Raum in einem blendend weißen Lichtblitz. Unwillkürlich hob V ic die Hände, um ihr Gesicht zu schützen, und sah, wie die feinen, goldenen Härchen an ihren nackten Armen in der Hitze verschmorten.
Nach der Explosion hatte sich die Welt verändert. Der ganze Raum pulsierte wie ein Herz. Gegenstände flackerten im Rhythmus ihres Pulsschlags. Die Luft war von einem wirbelnden, goldenen Rauch erfüllt.
Als V ic den Raum betreten hatte, waren hinter den Möbeln Schatten hervorgesprungen. Jetzt schienen die Gegenstände Lichtblitze zu versprühen, als wollten sie ebenfalls explodieren.
Sie spürte ein feuchtes Rinnsal an ihrer Wange und glaubte, es seien Tränen, doch als sie ihr Gesicht berührte, waren ihre Fingerspitzen rot.
Sie musste hier weg! Sie richtete sich auf und machte einen Schritt vorwärts, doch dann kippte der Raum plötzlich nach links, und sie stürzte wieder zu Boden. Mühsam kam sie auf die Knie. Brennende Fetzen segelten durch die Luft, der Raum kippte unvermutet nach rechts, und sie fiel auf die Seite.
Blendende Helligkeit sprang hinter der Liege und dem Waschbecken hervor und flackerte links und rechts der Tür. Sie hatte nicht gewusst, dass jeder Gegenstand einen Kern aus Dunkelheit und Licht in sich barg, der in Momenten wie diesen enthüllt wurde. Mit jedem Herzschlag wurde die Helligkeit intensiver. Sie hörte nichts außer dem lauten Rasseln ihrer Lunge.
Tief atmete sie den Geruch von verbranntem Lebkuchen ein. Die Welt war eine helle Lichtblase, die sich vor ihr aufblähte und ihr ganzes Blickfeld einnahm, bis sie schließlich …
… zerplatzte.
CHRISTMASLAND
7. – 9. Juli
St. Nicholas Parkway
N ördlich von Columbus schloss Wayne einen Moment lang die Augen, und als er sie wieder öffnete, schlief über ihm am Himmel der Weihnachtsmond, und zu beiden Seiten der Straße standen Schneemänner, die die Köpfe drehten, um dem Wraith hinterherzublicken.
V or ihnen erhoben sich die Berge, eine gewaltige Mauer aus schwarzem Gestein am Rand der Welt. Die Gipfel waren so hoch, dass es aussah, als könnte der Mond selbst daran hängen bleiben.
Auf einem Plateau unterhalb der Kuppe des höchsten Berges befand sich eine Ansammlung von Lichtern. In der Dunkelheit waren sie noch aus Hunderten Kilometern Entfernung zu sehen – strahlender Weihnachtsschmuck. Der Anblick war so wunderbar, dass es Wayne kaum auf der Rückbank hielt. Es sah aus wie eine Schale voll glühender Kohlen. Das Licht pulsierte im Takt seines Herzens. Es war alles so aufregend!
Mr. Manx hatte eine Hand locker auf das Lenkrad gelegt. Die Straße war schnurgerade, wie mit dem Lineal gezogen. Das Radio war eingeschaltet, und ein Knabenchor sang »Ihr Kinderlein, kommet«. Im Geist antwortete Wayne auf die Einladung: Wir sind schon unterwegs. Wir fahren, so schnell wir können. Hebt uns noch ein wenig Weihnacht auf.
Die Schneemänner standen in kleinen familiären Grüppchen beieinander, und der Luftzug des fahrenden Autos ließ ihre gestreiften Schals flattern. Schneeväter und Schneemütter mit ihren Schneekindern und Schneehunden. Einige trugen Zylinder, andere hatten Maiskolbenpfeifen im Mund und Karotten als Nasen. Mit den krummen Stöcken, die ihnen als Arme dienten, winkten sie Mr. Manx, Wayne und NOS4A2 zu. Die schwarzen Kohlen ihrer Augen glänzten, dunkler als die Nacht und heller als die Sterne. Ein Schneehund hatte einen Knochen im Maul. Einer der Schneeväter hielt sich einen Mistelzweig über den Kopf, während ihn eine der Schneemütter auf die runde weiße Wange küsste. Ein Schneekind stand mit einem Beil in der Hand zwischen seinen enthaupteten Eltern. Wayne lachte und klatschte in die Hände – die lebenden Schneemänner waren das Lustigste, was er je gesehen hatte. Wie herrlich albern sie waren!
»Was möchtest du denn gern als Erstes machen, wenn wir im Christmasland angekommen sind?«, fragte Mr. Manx vom dunklen Fahrersitz aus.
Wayne war von
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