Christmasland (German Edition)
Begriff – »invasive Arten« – hallte in seinem Kopf wider. Später würde der Mais kurz abgewaschen werden, und die Menschen würden ihn essen.
»Kann man das Christmasland eigentlich auch wieder verlassen?«, fragte Wayne.
»Wenn du erst einmal da bist, wirst du es nicht mehr verlassen wollen. Weil du dort alles findest, was du dir nur wünschen kannst. Die schönsten Spiele. Die tollsten Karussells. Mehr Zuckerwatte, als du in hundert Jahren essen könntest.«
»Aber könnte ich das Christmasland verlassen, wenn ich wollte?«
Manx warf ihm über den Rückspiegel einen beinahe feindseligen Blick zu. »Langsam denke ich, dass deine Lehrer die viele Fragerei doch eher lästig finden. Wie sind denn deine Schulnoten?«
»Nicht besonders.«
»Nun, dann wird es dich sicherlich freuen zu hören, dass es im Christmasland keine Schule gibt. Ich persönlich habe die Schule gehasst. Ich wollte lieber selbst Geschichte schreiben, als darüber zu lesen. Es heißt, Lernen sei ein Abenteuer. Aber das ist Quatsch. Lernen ist Lernen. Und Abenteuer ist Abenteuer. Wenn man erst mal lesen, schreiben und rechnen kann, ist der Rest eigentlich überflüssig. Der bringt einen nur auf dumme Gedanken.«
V ermutlich hieß das, dass man das Christmasland nicht mehr verlassen konnte. »Darf ich ein paar letzte Wünsche äußern?«, fragte Wayne.
»Jetzt hör mal zu. Du klingst, als wärst du zum Tode verurteilt. Du wirst nicht sterben. Wenn du im Christmasland ankommst, wird es dir besser gehen als je zuvor!«
»Aber wenn ich nicht zurückkehren kann, wenn ich für immer im Christmasland bleiben muss … dann gibt es ein paar Dinge, die ich gern noch tun würde, bevor wir dort ankommen. Darf ich eine letzte Mahlzeit haben?«
»Wie meinst du das? Denkst du etwa, dass es im Christmasland nichts zu essen gibt?«
»Aber wenn ich nun gern etwas essen würde, was man dort nicht bekommen kann? Oder gibt es im Christmasland alles?«
»Es gibt Zuckerwatte, Kakao und Hotdogs und die Lutscher, bei denen mir immer die Zähne wehtun. Also alles, was ein Kind sich nur wünschen kann.«
»Ich hätte gern einen Maiskolben mit Butter«, sagte Wayne. »Und ein Bier.«
»Einen Maiskolben aufzutreiben sollte kein Problem sein und … Was hast du gesagt? Wurzelbier? Hier im Mittleren Westen gibt es gutes Wurzelbier. Sarsaparilla ist sogar noch besser.«
»Nein, kein Wurzelbier. Richtiges Bier. Ich hätte gern ein Coors Silver Bullet.«
»Weshalb willst du Bier?«
»Mein V ater hat immer gesagt, dass er mit mir zusammen eins trinken wird, wenn ich einundzwanzig bin. Am vierten Juli. Und dann wollten wir gemeinsam das Feuerwerk anschauen. Ich habe mich schon darauf gefreut. Aber das werde ich jetzt wohl nicht mehr erleben. Außerdem haben Sie gesagt, dass im Christmasland jeden Tag Weihnachten ist. Das heißt wahrscheinlich auch, dass es keinen vierten Juli gibt. Im Christmasland sind sie anscheinend nicht besonders patriotisch. Deshalb hätte ich gern noch ein paar Wunderkerzen, so wie ich sie in Boston hatte.«
Sie fuhren über eine lange, niedrige Brücke. Das gerillte Metall summte rhythmisch unter den Reifen. Manx antwortete erst, als sie das andere Ende erreicht hatten.
»Du bist heute sehr gesprächig. Anderthalbtausend Kilometer haben wir zusammen zurückgelegt, und bisher hast du noch nie so viel geredet. Also, lass mich noch mal zusammenfassen: Ich soll dir ein Bier kaufen, einen Maiskolben und ein paar Feuerwerkskörper, damit du deinen eigenen vierten Juli veranstalten kannst? Bist du dir sicher, dass das alles ist? Du wolltest nicht zufällig nach dem Highschool-Abschluss mit deiner Mutter Gänseleberpastete und Kaviar essen gehen?«
»Ich will nicht meinen eigenen vierten Juli veranstalten. Ich möchte nur ein paar Wunderkerzen. Und vielleicht ein oder zwei Raketen.« Er hielt inne, dann fügte er hinzu: »Sie haben gesagt, dass Sie mir etwas schulden. Dafür, dass Sie meinen Hund umgebracht haben.«
Eine Weile lang herrschte grimmiges Schweigen.
»Stimmt«, sagte Manx. »Das habe ich gesagt. Ich hatte es schon wieder verdrängt. Ich bin nicht gerade stolz darauf. Denkst du, wir sind quitt, wenn ich dir ein Bier, einen Maiskolben und ein paar Feuerwerkskörper besorge?«
»Nein. Aber mehr werde ich nicht verlangen.« Wayne sah aus dem Fenster und entdeckte den Mond. Er sah aus wie ein Knochensplitter, gesichtslos und weit entfernt. Er war nicht so schön wie der Mond über dem Christmasland. V ermutlich war im Christmasland
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