Christmasland (German Edition)
Klingeln an den Apparat und erklärte sich bereit, die Kosten für den Anruf zu übernehmen. Allerdings schien er nicht besonders glücklich darüber zu sein. Seine Stimme klang rau. Als V ic ihn das letzte Mal gesehen hatte, war sein Haar deutlich grauer gewesen als noch im Jahr zuvor. Sie hatte gehört, dass sich Männer jüngere Geliebte zulegten, um selbst jung zu bleiben. Es schien nicht zu funktionieren.
»Tja«, sagte V ic und musste plötzlich gegen die Tränen ankämpfen. »Mama hat mich rausgeschmissen, genau wie dich damals.«
Das stimmte zwar nicht ganz, aber irgendwie schien es ihr der richtige Gesprächsanfang zu sein.
»Hallo, Gör«, sagte ihr V ater. »Wo bist du? Geht es dir gut? Deine Mutter hat mich angerufen und gesagt, du seist abgehauen.«
»Ich bin an einem Bahnhof. Aber ich habe kein Geld. Kannst du mich holen kommen, Papa?«
»Ich kann dir ein Taxi rufen. Deine Mutter wird die Fahrtkosten bezahlen, wenn du nach Hause kommst.«
»Ich kann nicht nach Hause gehen.«
» V ic. Ich bräuchte eine Stunde, um zu dir zu gelangen, und es ist schon Mitternacht. Ich muss morgen um fünf auf der Arbeit sein. Eigentlich sollte ich längst im Bett liegen, stattdessen sitze ich hier neben dem Telefon und mache mir Sorgen um dich.«
V ic hörte die Stimme von Tiffany im Hintergrund, der Freundin ihres V aters: »Zu uns kommt sie nicht, Chrissy!«
»Du musst das mit deiner Mutter klären«, sagte V ics V ater. »Ich kann mich da nicht einmischen, V ic. Das weißt du.«
»Hierhin kommt sie nicht«, sagte Tiffany noch einmal mit schriller, wütender Stimme.
»Kannst du dieser Schlampe nicht mal sagen, dass sie den Mund halten soll?«, schrie V ic.
Als ihr V ater weitersprach, klang seine Stimme härter. »Das werde ich nicht tun. Und angesichts der Tatsache, dass du sie verprügelt hast, als du das letzte Mal hier warst …«
»So ’n Quatsch!«
»… und dich nicht mal dafür entschuldigt hast …«
»Ich habe das hirnlose Flittchen nicht angerührt.«
»Okay. Ich lege jetzt auf. Dieses Gespräch ist beendet. V on mir aus kannst du die ganze verdammte Nacht im Regen verbringen.«
»Sie ist dir also wichtiger als ich«, sagte V ic. » Sie ist dir wichtiger. Fick dich. Geh ruhig ins Bett, damit du morgen ausgeschlafen bist, wenn du Dinge kaputtmachst. Das kannst du doch am besten.«
Sie legte auf.
V ic fragte sich, ob sie auf einer Bank im Bahnhof schlafen könnte, aber um zwei Uhr morgens wurde ihr klar, dass das nicht ging. Es war einfach zu kalt. Sie fragte sich, ob sie per R-Gespräch ihre Mutter anrufen und sie bitten sollte, ihr ein Taxi zu schicken. Aber der Gedanke, sie um Hilfe zu bitten, war einfach unerträglich, also ging sie zu Fuß zurück nach Hause.
Zu Hause
S ie versuchte es nicht einmal mit der Eingangstür, weil sie sich sicher war, dass sie verriegelt sein würde. Das Fenster zu ihrem Zimmer befand sich in dreieinhalb Metern Höhe und war verschlossen. Die hinteren Fenster und die gläserne Schiebetür auf der Terrasse waren ebenfalls zu. Aber es gab ein Kellerfenster, das sich nicht verriegeln ließ und seit Jahren einen Spaltbreit offen stand.
V ic fand eine verrostete Heckenschere und schnitt damit das Fliegengitter durch. Dann schob sie das Fenster auf und quetschte sich durch die lange, breite Öffnung.
Der Keller war ein großer, unverputzter Raum, an dessen Decke Rohre verliefen. An einem Ende des Raums, direkt neben der Treppe, befanden sich Waschmaschine und Trockner und am anderen Ende der Heizkessel. Dazwischen standen Kartons und Müllsäcke mit V ics alten Klamotten und ein karierter Sessel, an dessen Polster ein schlechtes gerahmtes Aquarellbild von einer überdachten Brücke lehnte. V ic erinnerte sich vage daran, dass sie es damals auf der Junior High gemalt hatte. Es war potthässlich. Kein Sinn für Perspektive. Zum Spaß nahm sie einen Edding und malte ein paar fliegende Schwänze an den Himmel. Dann schmiss sie es auf den Boden und klappte die Sessellehne zurück, sodass so etwas wie ein Bett entstand. Im Wäschetrockner fand sie ein paar Klamotten zum Wechseln. Sie hätte gern ihre Turnschuhe in den Trockner geworfen, aber ihre Mutter hätte das Geklapper gehört, deshalb stellte sie sie nur auf die unterste Treppenstufe.
In einem Müllsack fand sie ein paar dicke Wintermäntel, mit denen sie sich auf dem Sessel ein Nest baute. Die Lehne ließ sich nur ein wenig runterklappen, und sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie so zusammengekrümmt
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