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Christmasland (German Edition)

Christmasland (German Edition)

Titel: Christmasland (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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schaukelten an den im Wind schwankenden Ästen. Zinnengel bliesen in stumme Posaunen. Dicke Weihnachtsmänner legten ihre Wurstfinger an die Lippen und rieten V ic, leise zu sein.
    Während sie so dastand und sich umschaute, verwandelte sich das Radiogeräusch in die Baritonstimme von Burl Ives, der der ganzen Welt eine »Holly Jolly Christmas« wünschte, obwohl es schon Ende März war. Die Stimme kam aus der Garage, einem heruntergekommenen Bau mit einer Rolltür und vier Fenstern, die blind vor Schmutz waren.
    Sie machte einen winzigen Schritt auf die Garage zu, dann noch einen, so vorsichtig, als würde sie sich einem steilen Abhang nähern. Beim dritten Schritt warf sie einen Blick zurück, um sich zu vergewissern, dass die Brücke noch da war und sie schnell dorthin zurückfahren könnte, wenn es sein musste. Sie war noch da.
    Ein weiterer Schritt und noch einer, dann war sie nahe genug heran, um durch eines der schmutzigen Fenster schauen zu können. V ic lehnte ihr Raleigh neben der großen Garagentür an die Wand.
    Sie drückte das Gesicht gegen das Glas. In der Garage stand ein altes schwarzes Auto mit einem kleinen Rückfenster. Es war ein Rolls-Royce, so einer wie die, aus denen Winston Churchill auf alten Fotos und Filmen ausstieg. Sie konnte das Nummernschild sehen: NOS4A2 .
    Das ist es. Das ist alles, was du brauchst. Damit kann die Polizei ihn aufspüren, dachte V ic. Jetzt mach dich weg. Und zwar schnell.
    Aber als sie sich gerade abwenden wollte, sah sie durch das Rückfenster des alten Wagens eine Bewegung. Jemand saß auf dem Rücksitz und hatte das Gewicht verlagert, um eine bequemere Haltung zu finden. Durch das schmutzige Glas konnte V ic die Umrisse eines kleinen Kopfes sehen.
    Ein Kind. In dem Auto befand sich ein Kind – ein Junge, dachte sie. Das Kind hatte einen Jungenhaarschnitt.
    V ics Herz schlug so heftig, dass ihre Schultern bebten. Er hatte ein Kind im Wagen, und wenn V ic jetzt über die Shorter Way Bridge zurückkehrte, würde die Polizei vielleicht den Mann aufspüren, dem das alte Auto gehörte, aber den Jungen würde sie nicht mehr finden, weil er längst irgendwo verbuddelt wäre.
    V ic fragte sich, warum das Kind nicht schrie oder zu fliehen versuchte. V ielleicht stand es unter Drogen oder war gefesselt. Aber wie dem auch sei, der Junge würde nicht entkommen können, wenn V ic nicht hineinging und ihn befreite.
    Sie trat vom Fenster zurück und warf erneut einen Blick über die Schulter. Die Brücke wartete zwischen den Bäumen. Plötzlich schien sie ihr sehr weit weg.
    V ic ließ das Raleigh stehen und ging um die Garage herum. Sie erwartete, dass die Seitentür verschlossen sein würde, aber als sie die Klinke hinunterdrückte, sprang die Tür auf. Hohe, zitternde Quietschestimmen hallten ihr entgegen: Alvin und die Chipmunks, die ihr infernalisches Weihnachtslied sangen.
    Ihr sank der Mut bei dem Gedanken, dort hineinzugehen. Zögernd setzte sie einen Fuß über die Schwelle, als würde sie das Eis eines Teiches betreten, der noch nicht ganz zugefroren war. Das alte Auto, schwarz und elegant, füllte beinahe die gesamte Garage aus. Die restliche Fläche war mit einer Menge Gerümpel vollgestellt: Farbdosen, Harken, Leitern und Kisten.
    Der Fond des Rolls-Royce war sehr geräumig. Die Rückbank war mit fleischfarbenem Ziegenleder bezogen. Ein Junge lag darauf und schlief. Er trug eine Raulederjacke mit beinernen Knöpfen. Er hatte dunkles Haar und ein rundes Gesicht. Seine Wangen wirkten rosig und gesund. Er sah aus, als würde er etwas Schönes träumen, vielleicht von kandierten Früchten. Er war nicht gefesselt und sah auch nicht unglücklich aus, und V ic kam ein völlig unsinniger Gedanke: Ihm geht es gut. Du solltest gehen. Wahrscheinlich ist er mit seinem Vater hergekommen und eingenickt, und sein Vater lässt ihn jetzt schlafen. Du solltest einfach verschwinden.
    V ic schreckte vor dem Gedanken zurück wie vor einer Pferdebremse. Etwas stimmte nicht damit. Er gehörte nicht in ihren Kopf, und sie hatte keine Ahnung, wie er dort hineingekommen war.
    Die Shorter Way Bridge hatte sie hierhergebracht, damit sie den Wraith aufspürte – einen bösen Mann, der anderen Menschen wehtat. Sie war auf Ärger aus gewesen, und die Brücke hatte sie bisher stets an den richtigen Ort geführt. In den vergangenen Minuten waren viele Dinge in ihr Gedächtnis zurückgekehrt, die sie jahrelang verdrängt hatte. Maggie Leigh war real gewesen und kein Tagtraum. V ic war tatsächlich

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