Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
gewachsen ist, taucht er bei uns auf.« Er heiterte sie mit einem Lächeln auf. »Hey, das ist der Kerl, der ›Giddy-up‹ ruft, was? Ein Texaner?«
»Kanadier … Soweit ich weiß.«
»Vielleicht hatte er einen texanischen Großvater. So verrückt, aus einem fahrenden Zug zu springen, kann nur ein Texaner sein. Er lebt, Clarissa. Selbst wenn er kein texanisches Blut in den Adern hat, ist er am Leben. Das spüre ich. So gemein, Ihnen das gleiche Schicksal zuzumuten wie mir, kann Gott nicht sein. Sie werden ihn wiedersehen, darauf verwette ich meinen Stetson, und den setzt ein Texaner nicht mal beim Sterben ab. Kopf hoch, Lady!«
Die tröstenden Worte des Ranchers gaben ihr neuen Mut und vertrieben die Tränen. Jimmy hat recht, sagte sie sich, Alex lebt noch und taucht irgendwann hier auf. Er lässt mich nicht im Stich. Er liebt mich doch!
»Vielleicht haben Sie recht, Jimmy. Ich wünsche es mir so sehr.«
»Und nicht mal der Herrgott persönlich könnte einer hübschen Lady wie Ihnen einen solchen Wunsch abschlagen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer.« Er lächelte zuversichtlich. »Heute Abend gibt es Pfirsiche zum Nachtisch, oder? Ich habe schon seit einigen Wochen keine Pfirsiche mehr gegessen.«
»Dann wird es aber höchste Zeit.« Sie konnte schon wieder lächeln. »Aber zuerst bringe ich ein wenig Ordnung in die Bude, sonst ersticken wir noch im Dreck. Schlimm, wenn Männer für längere Zeit auf einem Haufen leben.«
»Wie im Zoo, ich weiß.«
Ihr Lächeln verstärkte sich. »Das haben Sie schon mal gehört?«
»Von meiner Mutter. Als ich noch ein kleiner Junge war.«
»Sie mochten Ihre Eltern sehr, nicht wahr?«
Flagler nickte. »Mein Vater war kein Rancher, er war Zeit seines Lebens ein Cowboy, ein fröhlicher Bursche, der immer für einen Dumme-Jungen-Streich gut war. Der hat ihn auch das Leben gekostet. Als eine unserer Nachbarsfamilien von Comanchen umgebracht wurde, schwor er noch während der Beerdigung, sich den Skalp von Quanah Parker zu holen, so hieß ihr Kriegshäuptling, und das versuchte er auch, aber einige Tage später brachte ihn sein Pferd auf unsere Ranch zurück, und er hatte selbst seinen Skalp verloren und starb in meinen Armen. Meine Mutter starb an der Schwindsucht.«
»Das ist ja furchtbar«, erschrak sie.
»So war das damals in Texas. Sie waren gute Leute, meine Eltern, und sie haben mir alles beigebracht, was man als Rancher wissen muss. Ich war auf dem richtigen Weg. Wäre Carmen damals nicht gewesen … Ich wäre wohl immer noch in San Angelo und mit irgendeiner netten Texanerin verheiratet.« Er ließ die Zügel schnalzen. »Aber so ist das im Leben, mal bist du oben und dann wieder unten. Und manche kommen nie mehr auf die Beine.«
Clarissa hätte ihm beinahe eine Hand auf die Schultern gelegt. »Was wollen Sie denn? Sie haben eine schöne Ranch, zwei gute Cowboys und jetzt sogar eine Haushälterin, die Ordnung schafft. Was wollen Sie mehr, Jimmy?«
»Ein ausgeglichenes Bankkonto zum Beispiel.« Er lachte.
Sie erreichten die Ranch am frühen Nachmittag und wurden von Rusty begrüßt, der laut bellend und schwanzwedelnd neben dem Schlitten herlief, bis Flagler anhielt und Clarissa vom Kutschbock half. Abwechselnd sprang er zuerst an Flagler und dann an ihr empor, leckte beide ab und verzog sich erst, als der Rancher ihn mit einem entschlossenen »Genug, Rusty!« davonjagte.
Rusty rächte sich an einigen Hühnern, die leichtsinnigerweise aus dem Stall gekommen waren und sich rasch wieder verzogen, als der Hund bellend auf sie losging. Gackernd und mit schlagenden Flügeln rannten sie davon.
»Rusty!«, wies Flagler ihn noch einmal zurecht.
Nachdem sie ihre Einkäufe ins Haus getragen hatten, brachte Flagler den Schlitten weg und kümmerte sich um das Zugpferd. Clarissa band sich eine Schürze um und begann, das Haus aufzuräumen. Sie fing in der Küche an, wischte Schrank, Tisch, Herd und Boden mit einem feuchten Lappen sauber, spülte sämtliches Geschirr, auch die Teller und Becher, die im Wohnzimmer standen, und war gerade dabei, das Feuer im Herd anzuzünden, als Flagler erschien und seinen Augen nicht traute: »So hat es hier noch nie geblitzt! Nicht mal Sam machte die Küche so sauber. Heute Abend Steaks mit Kartoffeln?«
Sie lächelte. »Und Pfirsiche zum Nachtisch. Das lässt sich machen.«
»In Ordnung. Ich lasse Sie ungern allein, Clarissa, aber die Arbeit muss auch getan werden. Ich reite zu Ted und Rocky auf die Winterweide und sehe mal nach den
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