Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Higgins!«, brach es aus ihm heraus. Er blieb stehen. »Behauptet, mein Kredit würde Ende des Monats auslaufen, und er müsste noch mal mit dem Direktor sprechen, bevor er mir eine Verlängerung bis nach dem Treck gewähren kann. Bisher hat die Bank jedes Jahr gewartet, bis ich das Geld vom Rinderverkauf hatte, und wir haben niemals über ein Datum gesprochen. Jetzt sagt er, dass der offizielle Frühjahrstermin im Kalender für den Kredit gilt, wo doch jedes Kind weiß, dass der Frühling hier oben später als in Vancouver oder Toronto beginnt. Er will auf mich zukommen, sagt er.«
»Halb so schlimm«, tröstete sie ihn, »so ähnlich haben sie es mit den Fischern in Vancouver auch gemacht. Es geht nur darum, dass sie die Zinsen erhöhen können. Banker sind wie Haie, sagte mein Vater immer, die kriegen nie genug.« Sie blickte zur Bank zurück. »Vielleicht sollte ich mal mit ihm reden. Manche Banker werden weich, wenn ihnen eine Frau schöne Augen macht.«
»Mister Higgins? Der ist kalt wie Eis.« Sie gingen langsam weiter. »Was soll ich nur machen, Clara? Wenn sie den Kredit streichen und nicht so lange warten, bis ich ein paar Rinder verkauft habe, können sie mich enteignen.«
»Die werden sich hüten! Lassen Sie uns erst mal was essen.«
Das Fraser Café lag gegenüber der Polizeistation, und Clarissa fühlte sich plötzlich wieder an ihre eigene missliche Lage erinnert. Falls der Polizist in seinem Büro war, brauchte er nur von seiner Arbeit aufzublicken und sie durch das Fenster zu erspähen, um misstrauisch zu werden. Selbst wenn es sich nicht um den Mountie handelte, dem sie mit Alex begegnet war, würde sie sich einige unangenehme Fragen anhören müssen. Frank Whittler hatte bestimmt dafür gesorgt, dass die Polizei ihre genaue Beschreibung bekam.
Glücklicherweise war die Polizeistation geschlossen, und sie konnte wieder befreit durchatmen, bis sie einen schlanken Mann mit Zylinder vor dem Eingang des Fraser Cafés stehen und einen Zigarillo rauchen sah. Er trug einen ähnlich teuren Pelzmantel wie Frank Whittler und weiße Handschuhe. Sein bleistiftdünner Oberlippenbart verzog sich, als er Clarissa sah.
»Sam Ralston!«, flüsterte sie überrascht. Der Spieler, der sie im Zug vor einer Entdeckung bewahrt hatte. Er wirkte noch genauso arrogant wie damals.
»Kennen Sie den Mann?«, fragte Flagler erstaunt.
»Gehen Sie schon mal vor«, erwiderte Clarissa, ohne auf seine Frage einzugehen. »Bestellen Sie den Hackbraten für mich. Ich komme gleich nach.«
»Sind Sie sicher, dass Sie keine Hilfe brauchen?«
»Gehen Sie«, bat sie den Rancher.
Sam Ralston wartete, bis Flagler etwas widerwillig im Lokal verschwunden war, und ließ die Hand mit dem Zigarillo sinken. »Sieh an«, begrüßte er sie in seiner hochnäsigen Art, »die Lady aus Vancouver. Wissen Sie, dass Sie mir ein Vermögen bringen würden, wenn ich Sie der Polizei ausliefere? Soweit ich weiß, hat Whittler Ihr Kopfgeld auf dreitausend Dollar erhöht.«
»Ich heiße Clara Holland«, verbesserte sie ihn, »und auf das Kopfgeld werden Sie verzichten, weil Sie ein Gentleman sind. Habe ich recht, Sam?«
»Mag sein.« Ralston betrachtete seinen Zigarillo. »Wer ist der Mann?«
»Jimmy Flagler, ein Rancher aus der Gegend.«
»Was Ernstes?«
»Ich arbeite als Haushälterin für ihn«, sagte sie. »Seine Ranch ist ein ideales Versteck. Sobald Gras über die Sache gewachsen ist, ziehe ich weiter.«
»In die Staaten runter?«
»Wir werden sehen. Und was tun Sie in Williams Lake?«
Er zog an seinem Zigarillo und blies den Rauch in die kalte Luft. »Eine Stadt ist so gut wie die andere. Überall gibt es Leute, die zu viel Geld haben und es an mich verlieren wollen. Am Wochenende, wenn die Goldsucher aus den Bergen kommen, wird mit hohen Einsätzen im Saloon drüben gespielt.«
»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück.«
Er zuckte die Achseln. »Spielen bedeutet harte Arbeit, und ich habe manchmal den Eindruck, dass Männer wie ich aus der Mode kommen. Vielleicht sollte ich irgendwann mal heiraten und mir auch eine Ranch zulegen.«
»Sie und eine Ranch?«
»Unterschätzen Sie mich nicht. Auch ich kann nicht mein ganzes Leben auf der Wanderschaft sein, und wenn ich eine Frau wie Sie finde …« Er paffte an seinem Zigarillo. »Falls tatsächlich Gras über die Sache wächst, mache ich Ihnen vielleicht einen Antrag. Wir wären ein interessantes Paar, Clarissa.«
»Clara«, verbesserte sie ihn, »und ich bin leider schon vergeben.«
»An
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