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Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Titel: Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Ross
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sich seine Schritte entfernten. Um ganz sicherzugehen, behielt sie die Augen aber geschlossen und öffnete sie erst, als sich der Druck des Arms um ihre Schultern lockerte, und der Gentleman sagte: »Sie haben es überstanden, Miss. Den Officer sind wir los, und der Schaffner wird wohl kaum an eine Diebin denken, wenn er Sie in meiner Gesellschaft sieht. Sie haben gehört, was er gesagt hat, sie suchen nach einer allein reisenden Frau.«
    Sie löste sich von ihm und blickte ihn erstaunt an. Er war nicht besonders groß, trug einen Zylinder aus echtem Biberfell, und sein Anzug und das weiße Hemd saßen so makellos, dass sie nur maßgeschneidert sein konnten. Seine Haut war blasser als ihre und wirkte im morgendlichen Zwielicht, das durch die Fenster in den Wagen fiel, beinahe krank. Über seinen Lippen schimmerte ein bleistiftdünner Bart. Auffallend waren seine Hände, die auch einer reichen Lady gut gestanden hätten. Sie hatte noch nie einen Mann mit so sauberen und sorgfältig geschnittenen Nägeln gesehen. Weniger zu seiner eleganten Erscheinung passten seine blauen Augen, die sie in einer seltsamen Mischung aus Arroganz und Spott ansahen. Weniger verachtend als Frank Whittler, aber von einem ähnlich übersteigerten Selbstbewusstsein bestimmt.
    »Vielen Dank«, sagte sie leise. »Warum haben Sie mir geholfen?«
    Der Gentleman lächelte. »Sollte ich etwa zulassen, dass man eine hübsche Lady wie Sie ins Gefängnis wirft? Ich dachte mir gleich, dass Sie dieses Dienstmädchen sind, als ich Sie auf dem Boden liegen sah. Warum sollten Sie sich sonst hier verstecken? Wie eine Landstreicherin sehen Sie nicht aus.« Er betrachtete seine manikürten Hände, eine Geste, die sie noch öfter an ihm beobachten würde. Sein Lächeln blieb. »Sie können von Glück sagen, dass ich als Erster in den Wagen kam, Miss, ein anderer hätte vielleicht die Polizei gerufen. Ich hab Sie auf die Bank gehoben, Ihren Mantel gesäubert und Ihre Tasche ins Gepäcknetz gelegt.« Er deutete auf die Ablage über ihrem Sitz.
    »Das war sehr freundlich von Ihnen«, bedankte sie sich noch mal. Eigentlich gehörte er zu der Sorte Männer, mit der sie nichts zu tun haben wollte. »War das der einzige Grund? Weil Sie mich für eine hübsche Lady halten?«
    »Ich halte Sie für unschuldig.«
    »Das bin ich auch«, sagte sie so laut, dass sich einer der anderen Passagiere nach ihr umdrehte. Sie senkte ihre Stimme rasch zu einem Flüstern. »Ich habe das Geld nicht gestohlen. Frank Whittler hat den Diebstahl erfunden, um sich an mir zu rächen. Er wollte … Sie können sich ja denken, was er wollte.«
    »Frank Whittler? Wenn er so wie sein Vater ist, kann es nichts Gutes gewesen sein. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, nehme ich an. Ich kenne seinen Vater, den ehrenwerten Thomas Whittler.« Er deutete auf eine Narbe an seinem Hals, die ihr bisher nicht aufgefallen war. »Die hat mir einer seiner Männer verpasst, nachdem ich Whittler beim Pokern besiegt hatte. Er hatte vier Asse auf der Hand und fühlte sich so siegessicher, dass er die Besitzurkunde für ein Grundstück in den Pott warf. Sie hätten sein Gesicht sehen sollen, als ich einen Royal Flush auf den Tisch blätterte. Ich weiß nicht, ob Sie was vom Pokern verstehen, aber so ein Blatt hat man nur alle paar Jahre mal.«
    »Sie sind Glücksspieler? Sie haben mit ihm gepokert?« Clarissa hatte den Manager der Canadian Pacific als nüchternen Geschäftsmann kennengelernt und konnte sich nicht vorstellen, dass er sich an einen Spieltisch setzte. »Und ich dachte, Mister Whittler würde sich nur um seine Geschäfte kümmern.«
    »Auch Männer wie er brauchen Abwechslung. Er ist ein schlechter Spieler, aber er hat immer seine Leute dabei, und Sie sehen ja, was dabei herauskommt.« Er berührte vorsichtig seine Narbe. »Nachdem ich wieder aufgewacht war, zwang er mich zur Revanche, und diesmal hatte er einen Royal Flush. Er hatte die Karten natürlich schon vorher aussortiert und gab sich auch keine Mühe, das zu verheimlichen, aber was sollte ich machen? Die Polizei rufen? Den großen Thomas Whittler anklagen? Ein Glücksspieler gegen einen angesehenen Manager der Canadian Pacific? Wie das ausgegangen wäre, können Sie sich ja denken. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als klein beizugeben.«
    »Dann müssen Sie sich ähnlich gefühlt haben wie ich. Nur dass ich für ein paar Jahre im Gefängnis lande, wenn mich die Polizei erwischt.« Sie rückte ein Stück von ihm weg und blickte ihn

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