Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
aus. Gaup hatte recht gehabt. Diese Auerochsen waren wirklich anders.
    Nun legten sie Fleischspieße über die Feuer, und bald stieg ihm der köstliche, vertraute Duft gebratener Auerhühner in die Nase, der so gar nicht zu dem stummen Lager passen wollte.
    »Warum sagen sie nichts?«, flüsterte er.
    »Damit sie den Bäumen noch ähnlicher sind, glaube ich«, hauchte Renn. »Das ist der größte Wunsch aller Bewohner des Großen Waldes: Sie wollen wie die Bäume sein.«
    »Ich sehe mehr Schilde als Männer.«
    Renn nickte und hob drei Finger. Drei Jäger waren noch unterwegs und durchsuchten den Wald. Nur gut, dass sie sich ihr Versteck hier oben im Baum gesucht hatten.
    Sie hielten abwechselnd Wache. Nieselregen tropfte in Toraks Träume, der Wald verwandelte sich in ein dunkles, rauschendes Meer. Nachtvögel glitten darin wie Fische umher. Von Weitem tönte das Schuhu einer Adlereule.
    Renn rüttelte an seiner Schulter. »Es dämmert bald.«
    Er schlug blinzelnd die Augen auf und massierte sich die verkrampfte Wade. Der Himmel war bedeckt, von Süden wehte ein trockener Wind. Buchfinken und Grasmücken sangen bereits aus voller Kehle und die ersten Waldtauben stimmten ein.
    »Hoffentlich schlafen Rip und Rek«, murmelte Renn. »Einen morgendlichen Rabengruß können wir jetzt ganz bestimmt nicht gebrauchen.«
    Torak rang sich ein Lächeln ab. Seine Zuversicht schwand mit jeder Minute. Selbst wenn ihr Plan aufgehen sollte, blieb ihnen nur sehr wenig Zeit, auf die andere Seite des Schwarzwassers zu schwimmen, wo sie sich im Gebiet der Waldpferde befinden würden. Dabei wurde der Abstand zwischen ihnen und Thiazzi immer größer.
    Als graues Morgenlicht in das Lager sickerte, erkannte Torak einige bucklige Hütten rund um die große Buche in der Lagermitte.
    Er stutzte. Das war doch unmöglich. Die unteren Äste der Buche waren rot . Das lag nicht etwa an den Strahlen der Morgensonne, sondern die Zweige selbst – Rinde, Zweige und Blätter – waren sorgfältig mit Erdblut bestrichen. Warum, überlegte er, sollte jemand einen Ast vollständig bemalen?
    Er hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Die Sonne ging auf. Bald würde sich zeigen, ob der Plan gelingen würde. Dann mussten sie schleunigst verschwinden.
    Im Norden blinkte etwas in einer hohen Fichte. Und dort ebenfalls, weiter östlich. Renn grinste ihn nervös an. So weit verlief alles wie vorgesehen. Die an den Pfeilschäften festgebundenen Feuersteinsplitter glitzerten in der Morgensonne und klirrten im Wind.
    Die Auerochsen hatten sie ebenfalls bemerkt. Die Männer deuteten darauf und rannten sofort zu ihren Waffen und Schilden.
    Rasch kletterten Torak und Renn von ihrem Versteck hinab auf den Waldboden. Wolf tauchte auf, sein Fell war taunass. Sie schlugen den Weg zum Fluss ein.
    Unter den überhängenden Weidenzweigen herrschte noch nächtliches Dunkel. Von Auerochsen war nirgends etwas zu sehen. Torak hoffte inständig, dass sie alle damit beschäftigt waren, die falsche Fährte zu verfolgen. Sie rissen sich hastig die Stiefel von den Füßen, banden sie auf ihre zusammengerollten Schlafsäcke und schlugen sich zum Ufer durch, hinein ins Schilf. Dort bewegten sie sich mit äußerster Vorsicht, um keine Wasservögel aufzuschrecken, die sie hätten verraten können. Am Ufer trieben zahlreiche blattreiche junge Bäume, die eine Flut angeschwemmt haben musste.
    »Gute Deckung«, murmelte Renn.
    Die beiden lächelten einander angespannt zu. Vielleicht ging ihr Plan doch auf.
    Dann wateten sie in den kühlen Fluss. Toraks Füße sanken in widerlich kalten Schlamm aus vermoderten Blättern, und er sah, wie Renn angeekelt die Lippen verzog. Er packte einen vorbeitreibenden Schössling und verbarg sich dahinter. Renn tat es ihm gleich. Dann schwammen sie hinter Wolf her, der bereits bis zur Flussmitte gepaddelt war.
    Das Schwarzwasser war längst nicht so schläfrig, wie es aussah. Sie mussten mit aller Kraft gegen die starken Strudel unter der Oberfläche ankämpfen.
    Plötzlich drehte Wolf bei und schwamm auf sie zu, die Ohren warnend angelegt.
    »Was ist denn das ?«, flüsterte Renn.
    Torak wurde übel. Diese Stämme in der Flussmitte bewegten sich flussaufwärts . Und einige von ihnen hatten Augen.
    Einer hob den Kopf. Torak erkannte ein wildes grünes Gesicht mit eintätowierten Blättern … ein braunes Stirnband und langes Haar mit eingeflochtenem Pferdeschweif.
    Ein Stoßtrupp der Waldpferde. Und er kam direkt auf sie zu.

Kapitel

Weitere Kostenlose Bücher