Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
aufzusuchen –, fand sie Durrain nicht besonders sympathisch. Ihr schmales Gesicht war ausdruckslos wie ein Stein. Außerdem hatte sie nicht einmal nach ihren Namen gefragt.
Durrain führte sie auf einem Wildwechsel durchs Unterholz nach Osten. Zweimal sah Renn Wolfs Fell aufblitzen. Er folgte ihnen heimlich. Er wunderte sich bestimmt, dass sie Thiazzis Fährte verlassen hatten, aber als sie Torak darauf hinwies, schien er sich deswegen keine Sorgen zu machen. »Durrain hat gesagt, dass sie uns hilft.«
»Sie hat gesagt, unsere Suche sei zu Ende. Das bedeutet nicht unbedingt dasselbe.«
»Aber sie sind meine Blutsverwandten. Sie müssen uns helfen.«
Der Weg durchs Unterholz war anstrengend. Ein gut aussehender junger Jäger bot Renn an, ihren Schlafsack zu tragen. Sie lehnte ab und bereute es alsbald. Er erriet ihre Gedanken und nahm ihr den Schlafsack ab.
Sie deutete auf den Mann mit dem Rindenverband, der vor ihnen ging. »Warum mag er mich nicht?«
Der junge Mann seufzte. »Wir haben einmal einen Raben aufgenommen. Er hat dem Seelenesser geholfen, den Dämonenbären ins Leben zu rufen.«
Renn stutzte. »Das war mein Bruder. Der Seelenesser hat ihn hereingelegt.«
Der Mann mit dem Rindenverband drehte sich um und funkelte sie finster an. »Das behauptest du . Der Bär hat meine Gefährtin getötet. Deswegen mag ich die Raben nicht.«
Als er außer Hörweite war, sagte der junge Mann entschuldigend: »Sie fehlt ihm immer noch.«
»Trägt er deshalb den Rindenverband?«, fragte Renn.
»Ja. Wir bestatten unsere Toten in ihrem auserwählten Baum und verbinden unsere Köpfe mit der Rinde, damit wir uns immer an sie erinnern.«
»Ihr tragt aber keine Stirnbänder. Auf welcher Seite steht ihr?«
Er straffte sich. »Wir gehören keiner Seite an. Wir kämpfen nicht.«
Renn hob die Brauen. »Und was halten die anderen Clans davon?«
»Sie verachten uns, lassen uns aber in Ruhe.«
Wer weiß, wie lange noch, dachte sie. Sie warf Torak einen Blick zu. Er hatte nicht zugehört. Sein sehnsüchtiger Blick schweifte über die Angehörigen des Rotwildclans, als wolle er sich jede Einzelheit einprägen. Hoffentlich enttäuschten ihn diese eigenartig verschlossenen Menschen nicht, dachte sie beunruhigt.
Der Weg zum Lager nahm beinahe den ganzen Tag in Anspruch und Renn hatte schon bald die Orientierung verloren. Endlich erreichten sie einen See, in dessen Mitte sich eine kleine baumbestandene Insel erhob. Man sagte ihr, dies sei der Schwarzwassersee, und es rief allgemeine Überraschung hervor, dass sie den See nicht kannte.
Das Lager des Rotwildclans lag oberhalb des Sees und war so geschickt verborgen, dass Renn daran vorbeigelaufen wäre, wenn kein Rauch aufgestiegen wäre. Hinter dichtem Wacholdergebüsch lag die größte Hütte, die sie je gesehen hatte: Sie zählte sieben von Rentierhäuten verdeckte Eingänge. Die Häute waren mit grünen Flecken zusätzlich getarnt. Ein paar Hunde – die ersten, die ihr im Großen Wald begegneten – kamen schnuppernd angelaufen, flohen jedoch, als sie Wolfs Geruch an ihr witterten. Kinder spähten neugierig aus den Hütten, zogen sich aber sofort wieder zurück.
Es war eigenartig still. Trotzdem fühlte sich Renn zum ersten Mal seit Tagen sicher. Hier konnte ihr niemand etwas anhaben: weder Tokoroths noch Jäger noch die bedrohliche Gestalt mit dem aschfarbenen Haar. Die berühmte Schamanenkunst des Rotwildclans hielt sie auf Distanz. Dabei entdeckte sie lediglich einige winzige Borkenbündel, die in den Bäumen hingen.
Der junge Mann führte Torak zum See, damit er sich waschen konnte, und eine Frau geleitete Renn zu einer abgelegenen Bucht. Sie zog sich nach einigem Zaudern schließlich aus und stand bibbernd da, während die Frau mit einem Block, der aus getrocknetem grauem Schlamm zu bestehen schien, ihre Tarnung abrubbelte. Obwohl es ein angenehmes Gefühl war, nicht mehr verkleidet zu sein, brannte ihre Haut nach der Prozedur wie Feuer. Sie fragte, woraus der graue Block bestand.
Die Frau wunderte sich, dass sie es nicht wusste. »Aus Asche. Wir verbrennen Farn, vermischen ihn dann mit Wasser und backen ihn.«
Asche, dachte Renn. Immerzu Asche.
»Alle im Großen Wald reinigen sich damit«, sagte die Frau. »Es ist so ähnlich wie Seifenwurzeln, nur wirksamer.«
Eine andere Frau brachte ihr Kleidung: Beinlinge und ein Wams aus Hirschleder, gesäumt mit Hasenfell, zuverlässig aussehende Schuhe aus Elchfell und einen weichen Umhang mit Kapuze, den Renn
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