Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
geprescht und Torak rannte um sein Leben.
Er erreichte die Stechpalmen, sprang mit ausgestreckten Armen zum nächstbesten Ast und zog sich in dem Augenblick hinauf, als das Gehölz unter ihm auch schon von einem Strudel aus Hufen und Hörnern überschwemmt wurde.
Wie eine Springflut fegten die Bisons hindurch. Torak klammerte sich an dem schwankenden Baum fest. Das Tosen und Beben ging ihm durch Mark und Bein und schien nie mehr aufhören zu wollen.
Dann war es mit einem Mal still. Eine ohrenbetäubende Stille. Rauch und Staub schwebten wie eine nach Bison riechende Decke über der Lichtung. Die Große Eiche und die Große Eibe ragten unversehrt daraus hervor und reckten ihre Äste in den Nachthimmel.
Sobald sich der Staub ein wenig gelegt hatte, sah Torak überall Funken des zertrampelten Feuers wie Sterne auf dem Boden glühen. Er sprang vom Baum herunter und suchte das Wäldchen nach Thiazzi ab. Der Schamane war verschwunden.
Ungläubig stolperte Torak durch das Halbdunkel, suchte die steinigen Hänge ab. Nichts. Die donnernden Hufe hatten sämtliche Spuren verwischt. Thiazzi hatte sich wie Rauch aufgelöst.
» Nein! «, rief Torak laut. Das Echo erstarb. Von irgendwo rieselten Kieselsteinchen herab; es klang wie ein steinernes Kichern.
Er ließ sich auf einen Felsbrocken sinken. Die Gelegenheit, Rache zu üben, war vertan.
Da kam Wolf mit großen Sätzen aus der Dunkelheit gesprungen und stupste ihn freudig an. Sein Fell war voller Kletten und vor Aufregung gesträubt. Torak hatte keine Ahnung, warum.
Viel Beute, teilte Torak Wolf erschöpft mit. Fast zertrampelt. Gut, dass du nicht hier warst.
Zu Toraks Belustigung ließ Wolf die Ohren hängen, stieß ein verlegenes Gähnen aus und rollte sich, um Entschuldigung bittend, auf dem Rücken hin und her.
Torak fragte ihn, ob der Gebissene sich noch in der Nähe aufhielt.
Weg, war alles, was Wolf sagen konnte.
Torak rieb sich mit der Hand übers Gesicht. Er hatte nichts erreicht. Jetzt blieb ihm nur der lange Weg zurück ins Lager des Rotwildclans, wo er versuchen musste, sie davon zu überzeugen, dass der Waldpferdschamane in Wahrheit Thiazzi war. Und dann musste er wieder ganz von vorne anfangen.
Eine große Mattigkeit überfiel ihn. Renn fehlte ihm sehr. Sie war bestimmt wütend auf ihn, weil er sie verlassen hatte, aber was sie auch sagen mochte, nichts konnte so schlimm sein wie das, was er sich selbst vorwarf.
Als der Mond aufging, hatte er das Ende des Pferdetals erreicht und konnte nicht mehr weiter. Ein paar Schritte oberhalb des Windflusses baute er sich im Schutz eines umgestürzten Baumes ein einfaches Nachtlager aus Zweigen und modrigem Farn. Seinen Schlafsack hatte er beim Rotwildclan gelassen, aber er war zu müde, um sich darüber zu ärgern; so musste er eben mehr Farn als weiche Unterlage herbeischleppen. Nachdem er einen Streifen getrocknetes Pferdefleisch gekaut und das letzte Stückchen für den Wald hinter eine Birkenrinde geschoben hatte, deckte er sich mit seinem Umhang aus Nesselstängeln zu und war kurz darauf eingeschlafen.
Diesmal weiß er, dass er träumt. Er liegt in seinem Unterschlupf auf dem Rücken, aber der Himmel über ihm ist ein Schneesturm aus Sternen. Vor Entsetzen bricht ihm kalter Schweiß aus, aber er kann sich nicht bewegen. Ein Schatten verdunkelt die Sterne, etwas beugt sich über ihn. Nasse Haare fallen ihm aufs Gesicht. Er hört das leise Knarren modrigen Robbenfells. Seine Haut zuckt vor einem eisigen Hauch zurück.
Es ist einsam auf dem Meeresgrund … Fische fressen mein Fleisch. Die Meermutter wiegt meine Knochen. Es ist kalt. So kalt.
Torak versucht zu sprechen. Seine Lippen wollen sich nicht bewegen.
Warum bist du nicht zu mir auf die Klippe gekommen? Ich war einsam und habe auf dich gewartet. Jetzt bin ich noch einsamer. Und mir ist so kalt…
Entsetzt schreckte Torak auf.
Der Tag war noch nicht angebrochen. Er hatte kaum geschlafen. Wolf war weg, aber Rip und Rek hüpften vor dem Unterschlupf auf und ab und krähten: Aufwachen! Aufwachen!
Torak rieb sich die Augen mit den Handballen. »Es tut mir leid, Blutsbruder. Ich habe dich im Stich gelassen. Aber ich finde ihn, das schwöre ich. Ich werde dich rächen.«
Die Raben würden über Groß Schwanzlos wachen und Wolf würde sich nicht weit entfernen. Aber er konnte dieses Heulen nicht ignorieren.
Er hatte es im Schlaf gehört. Dunkelfell war von den Bergen herabgekommen. Sie suchte ihn! Dann war er aufgewacht und die Enttäuschung war
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