Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
sich nicht bewegen. »Komm schon!«, schrie Torak. »Schwimm! Das ist deine letzte Chance!« Damit machte er alles nur noch schlimmer. Das Fohlen verstand keine Menschensprache, aber was sollte Torak sonst tun? Wenn er es in der Wolfssprache sagte, würde es vor Angst auf der Stelle sterben.
Er schob sich hinter das kleine Tier, klemmte den Kopf unter dessen Bauch und stemmte es mit den Schultern nach oben. Es wehrte sich schwach, daher hielt er seine Beine fest und wankte dann tiefer in den See hinein.
Als er hüfttief im See stand, warf er das Fohlen ins Wasser. »Jetzt bist du dran!«, rief er durch das Brüllen des Feuers. »Schwimm!« Dann warf er sich selbst in das kühle Nass und hielt auf den Biberbau zu.
Die Namensseele des Feuers starrte ihn aus dem Wasser an. Wenn er nach hinten schaute, sah er, wie es den Hang, den er hinabgefallen war, bereits für sich beanspruchte. Und er sah das Fohlen tapfer hinter ihm herschwimmen.
Er hatte den Biberbau fast erreicht und spürte, dass seine Kräfte nachließen. Dichte schwarze Rauchschwaden wälzten sich über den See auf ihn zu. Er konnte kaum atmen. Er hatte vorgehabt, auf den Bau zu klettern und dort auszuharren, bis das Feuer den See übersprungen hatte, aber jetzt wurde ihm klar, dass er dann ersticken würde. Er musste in den Bau hineingelangen. Biberbaue haben eine Schlafkammer oberhalb des Wasserspiegels, deren Zugang jedoch unter Wasser liegt. Torak holte tief Luft und tauchte.
Er hielt sich an Zweigen und Ästen fest und suchte nach einem Tunneleingang. Seine Brust brannte. Er konnte keinen Tunnel finden, er sah überhaupt nichts, es war, als würde er durch Schlamm schwimmen.
Da – eine Öffnung. Er schob sich hinein, tauchte aus dem Wasser auf… und schlug sich den Kopf an einem Baumschössling an.
Im roten Dämmerlicht konnte er kaum etwas sehen, aber das Brüllen des Feuers war hier nicht ganz so ohrenbetäubend. Es roch nach Rauch, stank allerdings auch muffig nach Biber. Sehen konnte er keines der Tiere. Vielleicht waren sie alle am Ufer vom Feuer überrascht worden.
Sie hatten ihren Bau sehr gut angelegt. Der Schlafplatz war mit klein geraspelten Holzstückchen bedeckt, die ihn gemütlich trocken hielten, die Zweige ringsum waren locker geschichtet und erzeugten so einen Luftzug, der bis zur Krone des Baus emporstieg. Der Schlafplatz war für Biber gemacht, also nicht besonders hoch, und da Torak nicht darin stecken bleiben wollte, beschloss er, mit dem restlichen Körper im Wasser zu bleiben, bis das Feuer weitergezogen war.
Nach Luft schnappend, dankte er den Bibern und Rip und Rek und dem Wald für diese Zuflucht.
»Bitte«, schnaufte er, »bitte lass auch Wolf und Renn in Sicherheit sein.«
Seine Worte gingen im Tosen des Feuers unter. Tief im Herzen spürte er, dass er vergebens hoffte. Das Feuer fraß den Wald auf. Nichts konnte überleben.
Wolf nicht, und auch nicht Renn.
Kapitel 21
Renn irrte durch eine schwarz verbrannte Welt.
Der Wald war verschwunden. Er war einfach nicht mehr da. Sie wanderte zwischen verkohlten Stacheln umher, die einmal Bäume gewesen waren. Sie spürte ihre verwirrten Seelen, die sich in der rußigen Luft drängten, war aber zu erschöpft, um sie bemitleiden zu können. Sogar die Sonne war verschwunden, von einem unheimlichen grauen Halblicht verschluckt. Hatte das Feuer den gesamten Wald vernichtet? Den Weiten Wald ebenso wie den Großen Wald?
Der Gestank brachte sie zum Husten. Das Geräusch hallte in der Leere unheimlich nach. Als sie zu husten aufhörte, war nur noch das verstohlene Knacken glühender Stümpfe und ab und zu das Krachen eines umfallenden Baumes zu vernehmen.
Tod, dachte sie, überall Tod. Wo ist Torak? Lebt er noch? Oder ist er…
Nein. Sie wollte es nicht einmal denken. Er ist bei Wolf. Sie sind beide noch am Leben, genau wie Fin-Kedinn und Rip und Rek.
Renn rieb sich über das Gesicht und spürte krümeligen Ruß auf der Handfläche. Ihr ganzer Körper war damit überzogen, sie schmeckte ihn sogar auf der Zunge. Ihre Augen waren rot und geschwollen. Sie hatte so viel Rauch geschluckt, dass ihr ganz schlecht war.
Außerdem hatte sie Durst, aber keinen Wassersack mehr. Nur ihre Axt, das Messer und den Köcher aus Rindenbast, den die Leute vom Rotwildclan ihr gegeben hatten. Darin steckten ihre letzten drei Pfeile. Und natürlich ihren Bogen.
Um sich selbst Mut zu machen, nahm sie ihn von der Schulter und rubbelte den Ruß von seinem schmalen Mittelstück. Als das goldgelbe
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