Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)
Bach kamen, bat Renn wieder um Wasser. Die Jäger starrten sie mit teilnahmslosen Augen an. Nicht trinken.
Das Tageslicht wurde schon schwächer, als sie das Lager endlich erreichten. Inzwischen war Renn vor Durst schon ganz benommen.
Das Auerochsenlager befand sich in einer Mulde und wurde von wachsamen Fichten beschützt. Schwelende Kieferknorren verbreiteten rauchiges orangefarbenes Licht und einen in den Augen beißenden scharfen Geruch von Baumblut. Rings um eine Rottanne in der Platzmitte drängten sich mehrere Hütten aus Birkenholz. Vor jeder Unterkunft lag ein Haufen hölzerne Schilde wie ein Nest riesenhafter Käfer, davor befand sich eine von Steinen eingefasste Feuerstelle. Am Stamm der Rottanne hing der gehörnte Schädel eines Auerochsen.
Darunter saß eine Gruppe schweigender Kinder und flocht zerstoßene Rottannenwurzeln zu Schnüren. Alle sahen Renn ausdruckslos an. Wie bei den Erwachsenen waren auch ihre Gesichter von Wülsten entstellt, viele davon noch blutverkrustet.
Renn entdeckte niemanden, der wie ein Anführer oder Schamane aussah, aber ihr fiel auf, dass keineswegs alle hier zu den Auerochsen gehörten. Es war noch ein anderer Clan vertreten. Dunkles, straff geflochtenes Haar, zwei Zöpfe bei den Frauen, einer bei den Männern, und die Gesichter waren ohne Narben, dafür mit gemahlenem Kiefernbast rot gepudert. Eigentlich war alles an ihnen rot gefärbt: Lippen, Scheitel, sogar die Fingernägel. Die Frauen gingen in einfaches Rehleder gekleidet, aber die Männer trugen prächtige Gürtel aus schwarzgoldenem Fell. Der Luchsclan.
Sowohl Auerochsen als auch Luchse glotzten sie auf die gleiche gefühllose Weise an. Allem Anschein nach wussten sie nicht, was Mitleid war.
Ihre Begleiter gingen auf das Feuer zu, hockten sich dort in den Qualm und wedelten ihn über sich hinweg. Sie stießen auch Renn hinein, als wollten sie sie säubern, dann zerrten sie sie zu der Rottanne und zwangen sie in die Knie.
Aus den Hütten tauchten Frauen auf. Ihre Gesichter waren ebenso vernarbt wie die der Männer, aber auf ihren lehmverkrusteten Schädeln saßen kleine Erlenzapfen, außerdem hatten sie eine Art Kittel anstelle von Beinlingen an.
Eine von ihnen trug einen Wassersack.
»Bitte«, murmelte Renn. »Ich habe schrecklichen Durst.«
Die Frau glotzte sie an.
Renn schlug matt mit der Faust auf den Boden. »Bitte!«
Ein alter Mann bückte sich und schaute ihr ins Gesicht. Er war der hässlichste, haarigste alte Mann, den sie jemals gesehen hatte. Obwohl er ein Auerochse war, hatte er den Schädel nicht rasiert, sondern Schopf und Bart nur mit Lehm eingerieben. Die Haare hingen zottig und verklebt an ihm herab. Aus seinen Ohren und Nasenlöchern wucherten wilde Büschel, die Augenbrauen hingen wie verschlungene Kletterpflanzen über seine Augenhöhlen.
Er pochte mit einem knochigen Finger auf ihr Armband aus Grünstein.
Sie zuckte zurück.
Er spie angewidert aus und humpelte wieder davon.
Jetzt kam ein jüngerer Mann aus einer der Hütten hervor. Sein Gesicht war ein einziges Narbengewebe.
Renn zeigte auf den Wassersack. »Bitte«, flehte sie.
Mittels einiger Gesten erteilte der Mann einen Befehl und die Frau stellte den Wassersack vor Renn.
Sie fiel darüber her und trank mit gierigen Zügen. Fast augenblicklich ließ das Pochen in ihrem Schädel nach, und sie spürte, wie die Kraft in ihre Glieder zurückkehrte. »Danke«, sagte sie.
Eine andere Frau kam mit einer großen Rindenschüssel, die sie vor den Jägern auf den Boden stellte. Neue Hoffnung regte sich in Renn. Das Essen roch verlockend. Es machte die Auerochsen gleich ein bisschen menschlicher.
Die Frau löffelte etwas in eine kleinere Schale, die sie als Gabe in die Astgabel der Fichte stellte. Dann löffelte sie noch eine Schale voll und stellte sie vor Renn.
Darin befand sich ein appetitlich aussehender Brei aus Nesseln und Fleischstückchen, möglicherweise Eichhörnchen. Renns Magen fing sofort zu knurren an.
Die Frau legte die Fingerspitzen an die Lippen und nickte. Iss.
Der Mann, der ihr erlaubt hatte zu trinken, räusperte sich. »Du«, sagte er mit einer Stimme, die ungeübt und heiser klang. »Du musst ausruhen. Und essen.«
Renns Blick wanderte von ihm zur Schüssel und wieder zurück.
Sie haben gesagt, ich soll mich ausruhen, hatte Gaup gesagt. Sie haben mir zu essen gegeben. Dann haben sie mir die Hand abgeschlagen.
Kapitel 23
Angst ist das einsamste Gefühl überhaupt. Sogar wenn man sich inmitten einer Gruppe
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