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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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gegeben.«
    Misstrauisches Kopfschütteln bei den Auerochsen. Wollte er sie hinters Licht führen?
    Als der Waldpferdschamane auf den Anführer der Auerochsen zuging, richtete sich ein Wald aus Speeren auf seine Brust. Thiazzi zuckte nicht im Geringsten zurück. »Um dieses Vertrauen zu ehren, gebe ich den Stab an seinen Clan zurück.« Mit einer Verneigung bot er dem Anführer den Stab dar.
    Sogar Renn musste seinen Mut anerkennen. Falls die Sache schiefging, würde er von zwanzig Speeren durchbohrt werden.
    Mit einer argwöhnischen Verbeugung nahm der Anführer der Auerochsen den Stab entgegen und Thiazzi machte einen Schritt zurück. Die Auerochsen ließen langsam die Speere sinken.
    Renn sah, wie er zu dem roten Baum zurückkehrte, von dem aus er sich wieder an beide Clans wandte.
    »Einen vollen Mond lang«, sagte er zu ihnen, »habe ich im Heiligen Hain gefastet und der Auerochsenschamane hat in seiner Gebetshütte gefastet. Uns beiden ist die gleiche Vision zuteilgeworden.« Er hob die Arme. »Wir dürfen einander nicht länger bekämpfen! Auerochsen, Waldpferde, Luchse, Fledermäuse und Rotwild – wir müssen uns vereinen!«
    Alle schnappten vor Erstaunen nach Luft. Hände fuchtelten aufgeregt.
    Worauf will er hinaus?, fragte sich Renn. Sie konnte nachvollziehen, warum ein Seelenesser Zwietracht säte, aber wieso …?
    In der nun eintretenden Stille hätte man den Flügelschlag eines Nachtfalters hören können. Alle Augen waren auf den maskierten Schamanen gerichtet, der vor dem roten Baum auf und ab schritt.
    »Vor vielen Wintern«, fing er an, »sind die Clans vom Wahren Weg abgewichen.«
    Seine Zuhörer ließen die Köpfe hängen. Einige der Auerochsen kratzten in ihren Gesichtern, um die Wunden aufzureißen.
    »Sie sind dafür bestraft worden«, sagte der Schamane. »Ganze Clans sind ausgelöscht worden. Die Rehe. Die Biber. Die Eichen. Seither hat die Menschen des Großen Waldes ein Unheil nach dem anderen ereilt. Und jedes Mal ist es von außen hereingetragen worden – von ungläubigen Fremden, die den Wahren Weg mit Füßen treten.«
    Das stimmt nicht, dachte Renn.
    »Vor drei Wintern hat ein Betrüger aus dem Weiten Wald den Rotwildclan dazu verleitet, ihn bei sich aufzunehmen, und es ihnen damit vergolten, dass er den Bärendämon geschaffen hat!« Thiazzis Stimme schwoll an wie der Wind in den Föhren.
    Die Zuhörer zischten und schüttelten die Fäuste.
    »Vor zwei Sommern sandte das Volk des Weiten Waldes die Krankheit und die Tokoroths …«
    Das waren nicht wir, dachte Renn, das waren die Seelenesser!
    »… allein unsere Wachsamkeit hat sie aus dem Wahren Wald ferngehalten.«
    Jetzt wurden triumphierend Äxte geschüttelt, Speere auf Schilde geschlagen. Bemalte Gesichter sogen verzückt seine Worte auf.
    »Im vorletzten Winter sandten die Eisclans Horden von Dämonen aus, damit sie uns überfallen. Im vergangenen Frühling haben die Otter versucht, uns mit einer Springflut zu ertränken.«
    Das ist gelogen!, schrie es stumm in Renn.
    »In diesem Frühjahr haben uns Eindringlinge unsere Kinder gestohlen und ein großes Feuer gesandt, das uns vernichten sollte. Es ist ihnen nicht gelungen!«
    Das Schilderklopfen wurde lauter.
    »Bisher haben wir ihnen lediglich widerstanden! Jetzt aber …« Er ging mit energischen Schritten um den Fackelkreis. »Jetzt müssen wir kämpfen! Alles Böse kommt von außen! Die Eindringlinge wollen uns vernichten, weil wir den Wahren Weg befolgen, aber wir aus dem Großen Wald – dem Wahren Wald – werden uns zusammenschließen! Wir werden uns erheben und diejenigen aus dem Weiten Wald zerschmettern!«
    Das Brüllen, das sich den vielen Kehlen entrang, ließ die Kiefern erbeben und hallte bis zu den Sternen hinauf.
    »Werft eure Stirnbänder ab!«, rief der Schamane mit dröhnender Stimme. »Umarmt eure Brüder aus dem Großen Wald und schließt euch gegen die Eindringlinge zusammen!«
    Daraufhin wurden Stirnbänder von Köpfen gerissen, Auerochsen stürmten los, um Fledermäuse zu umarmen, Waldpferde drückten ihre Stirnen an die von Luchsen. Unter dem roten Baum stand der Schamane und betrachtete das Treiben aus seiner bemalten Maske heraus.
    Plötzlich brachte er alle mit erhobenen Armen zum Schweigen.
    Die Clans wichen wieder hinter die Fackeln zurück.
    »Aber vergesst nie«, sagte Thiazzi mit unterschwellig drohender Stimme, »dass die Boshaftigkeit der Eindringlinge niemals schläft.« Er machte eine kleine Pause. »Ich bringe euch einen Beweis

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