Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)
prasselten wie Hagel gegen Wolfs Schnauze. Wolf überholte seinen Gefährten – bemerkte dann jedoch, dass er zu weit gegangen war, und fiel wieder zurück, denn schließlich war Groß Schwanzlos der Leitwolf.
Groß Schwanzlos zog seine Biberhautpfoten aus und kletterte auf bloßen Pfoten weiter. Das hatte Wolf schon häufiger gesehen, aber er fand es immer noch verstörend. Außerdem hatte Groß Schwanzlos so sonderbare Pfoten! Die Zehen seiner Hinterläufe waren viel zu kurz geraten und völlig nutzlos, während er mit den langen Vorderzehen sehr gut greifen konnte. Voller Bewunderung sah Wolf ihm dabei zu, wie sein Rudelgefährte sich damit an den Wacholderbüschen festhielt und den Abhang hochzog.
Plötzlich war Groß Schwanzlos verschwunden.
Wolfs Pelz zog sich besorgt zusammen.
Doch dann sah er, dass sein Rudelgefährte eine Höhle entdeckt hatte. Sie lag unter dem Wacholdergebüsch verborgen und roch nach Baummarder und Falke. Wolf bellte enttäuscht. Nicht hier! Während dem Großen Kalt hatten ihn die schlechten Schwanzlosen einmal in solch einer Höhle gefangen gehalten.
Keuchend hockte Groß Schwanzlos auf allen vieren. Hätte er einen Schwanz, dann würde er ihn jetzt traurig hängen lassen. Wenn er sich bloß nicht so oft ausruhen müsste!
Dann fiel Wolf mit einem Mal ein, wie er noch ein Welpe gewesen war und sich selbst oft hatte ausruhen müssen. Damals hatte ihn Groß Schwanzlos auf den Vorderpfoten getragen.
Beschämt rieb Wolf das Fell an seinem Rudelgefährten und schleckte ihm über das Ohr. Groß Schwanzlos zitterte. Wolf roch Schmerz und Zorn, Einsamkeit und Angst.
Was ging hier nur vor? Wolf verstand nicht recht. Viele Sprünge entfernt ertönte das wütende Kläffen der Hunde, die die Fährte nicht finden konnten. Wo? Wo ist er?, heulten sie. Der Wind trug ihm den Geruch ihrer Wut zu und den Eberdunst des halbwüchsigen Schwanzlosen im Rudel. Aber warum jagten sie Groß Schwanzlos? Und warum hatte er das Rabenrudel verlassen? Manchmal verließ ein junger Wolf sein Rudel, um ein eigenes zu gründen, aber das hier war etwas anderes. Das hier fühlte sich falsch an.
Der Leitwolf des Rabenrudels hatte sehr grob in der Schwanzlossprache gesprochen und mit seiner großen Pfote das Wolfsfell von Groß Schwanzlos’ Überpelz abgerissen : Dieses Wolfsfell trug Groß Schwanzlos, seit Wolf ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Der Leitwolf hatte dieses Furchtbare getan, aber tief in ihm hatte Wolf beißenden Kummer gespürt.
Die Rudelgefährtin hatte Wolf noch mehr verwirrt. Sie hatte nicht versucht, den Leitwolf aufzuhalten, und Groß Schwanzlos auch nicht begleitet.
Was hatte das zu bedeuten?
Im Tal suchten die Hunde fieberhaft nach der Fährte. Sein Rudelgefährte hörte sie noch nicht, aber Wolfs Fell sträubte sich.
Was ist ? , fragte Groß Schwanzlos mit den Augen.
Wolf blickte in das geliebte felllose Gesicht. Groß Schwanzlos konnte nicht mehr viele Sprünge machen. Wolf musste dafür sorgen, dass die Hunde ihn nicht fanden.
Halb knurrend, halb winselnd stupste er seinem Rudelgefährten die Schnauze unter das Kinn. Verzeih mir, ich muss gehen. Komm mir nicht nach . Damit war er auch schon aus der Höhle und den Abhang hinunter.
Wolf setzte über die Steine und lief durch das Flinke Nass, das in hohen Tropfen aufspritzte, als er es mit seinen großen Pfoten beiseiteschob. Er kletterte am gegenüberliegenden Ufer hoch, schüttelte sich den Pelz trocken und jagte weiter. Es tat gut, zu rennen, ohne dauernd auf Groß Schwanzlos warten zu müssen, und die Hunde fürchtete er nicht. Verglichen mit einem Wolf sind Hunde wie Welpen.
Während er lief, bemerkte er Dinge im Wald, die ihn beunruhigten. Eine Natter glitt mit erhobenem Kopf stromaufwärts. Eine Eulenfeder steckte im Farnkraut. Eine Eiche raunte ihrem mächtigen, uralten Rudel Geheimnisse zu. Das erinnerte ihn an die schlechten Schwanzlosen, die ihn in der winzigen Steinhütte festgebunden hatten, so fest, dass er sich nicht hatte rühren können.
Wo! Wo!, heulten die Hunde.
Wolf vergaß die schlechten Schwanzlosen, bremste ab und tapste vorsichtig im Laufschritt weiter.
Unten im Tal nahm er ein Knäuel aus vielen verschiedenen Fährten auf. Als er zwischen den Bäumen hindurchspähte, sah er das junge Männchen aus dem Eberrudel, das eine große Klaue in der Vorderpfote hielt und nach Blutdurst stank. In der anderen Pfote hielt es ein nach Fischhund und Groß Schwanzlos riechendes silbriges Stück Pelz. Wolf wusste sofort,
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