Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)
strudelte sanft um ihn herum. Vom Fluss ertönte kein Laut außer dem Tosen der Stromschnellen.
Torak drehte sich um und schwamm zu der Stelle, an der er seine Trage zurückgelassen hatte. Er zog sich mühsam ans Ufer und brach erschöpft zusammen. Er hatte noch den schlammigen Geschmack des Flusses im Mund, säuerlicher Moosgeruch stieg ihm in die Nase. Die Wunde in seiner Brust schmerzte.
Er sammelte seine Habseligkeiten ein und sah erst jetzt den schmalen Pfad, der sich zwischen den Felsen nach oben wand. Sogleich machte er sich an den Aufstieg. Als sich das spitze Gestein in seine nackten Sohlen bohrte, fiel ihm ein, dass er seine Stiefel im Fluss verloren hatte. Er zuckte gleichgültig die Achsel.
Oben angekommen folgte er seinen eigenen Spuren, bis die Stromschnellen in Sichtweite kamen. Er wollte ganz sichergehen.
Die Strömung hatte den Einbaum gegen einen etwas erhöht am Rande der Stromschnellen liegenden Stein geschmettert. Zwischen Felsen und Boot erhaschte Torak einen kurzen Blick auf eine Hand. Sie rührte sich nicht. Vielleicht hatte Aki das Bewusstsein verloren und ertrank. Oder er war bereits tot. Torak brachte es einfach nicht fertig, bei seinem Anblick Rührung zu empfinden.
Mit dem Messer schnitt er den Stängel einer Wasser-Lobelie ab, um künftig ein Atemrohr zu haben. Dann stopfte er das Rohr in seinen Gürtel, marschierte weiter flussaufwärts und überließ Aki seinem Schicksal.
Irgendwas stimmte nicht mit Groß Schwanzlos.
Wolf spürte es schon seit geraumer Zeit. Groß Schwanzlos hörte Wolf nicht mehr zu, ebenso wenig wie dem Wald, und er hatte angefangen, böse Dinge zu tun.
Es wurde immer schlimmer mit ihm. In seinem Inneren nagte das Böse, genau wie das Böse, das in der großen Kälte an Wolfs Schwanzspitze genagt hatte.
Ängstlich folgte Wolf seinem Rudelbruder und hielt sich dabei im Verborgenen, denn Groß Schwanzlos hatte ihm ja befohlen, wegzugehen. Aber er ließ ihn trotzdem nicht aus den Augen.
In einiger Entfernung trabte Wolf nun neben ihm her, als sie dem Flinken Nass zu den Bergen folgten. Während er geschickt zwischen den Bäumen hindurchschlüpfte, witterte Wolf Otter und Biber und einen Hauch von jener Andersheit, die ihren wahren Geruch verbarg. Da er nicht wusste, was er deswegen tun sollte, kaute er einen Wacholderzweig und fühlte sich gleich ein wenig besser.
Plötzlich witterte er Wolfsgeruch.
Dieser Geruch ließ ihn alles andere vergessen. Ja, frische Wolfslosung und die kräftige, süße Duftmarke des Leitwolfes.
Sein Herz machte einen Freudensprung. Er kannte diesen Geruch! Das Rudel aus den Bergen!
Außer sich vor Begeisterung bellte Wolf zweimal kurz auf: Wo seid ihr?
Der Wind trug das Antwortgeheul zu ihm herüber – und Wolf setzte in großen Sprüngen darauf zu. Nun konnte er wieder mit den Wölfen zusammen sein und obendrein Groß Schwanzlos helfen! Genau das brauchte Groß Schwanzlos nämlich dringend: mit seiner eigenen Art zusammen zu sein, unter Wölfen!
Wolf hatte die anderen bald gefunden. Sie rasteten an einem kleinen Flinken Nass, um sich das Blut von den Schnauzen zu spülen. Als Wolf auf sie zugesprungen kam, erfasste er alles mit einem raschen Blick. Die Jagd war gut gewesen: Er roch das Rehblut auf ihrem Pelz, sah ihre vollen Bäuche, in denen sie die Beute zurück in die Höhle schleppten, schwer am Boden schleifen.
Das Leitpaar war noch dasselbe wie früher, doch im Wolfsrudel hatte es die üblichen Veränderungen gegeben. Der alte Wolf war verschwunden und der andere, der für sein Leben gern nach Mäusen gegraben hatte, lahmte und war nur noch ein Unterwolf, während die Welpen, die in den Bergen mit Wolf gespielt hatten, jetzt Jungwölfe waren wie er selbst, wenn auch noch ein wenig kleiner.
Eine von ihnen, ein schönes Weibchen mit dunklem Fell, war besonders geschickt in der Jagd-nach-Lemmingen gewesen. Als sie Wolf witterte, zuckte ihr Schwanz vor Aufregung. Sie kam jedoch nicht näher, um ihn zu begrüßen, denn es war Angelegenheit der Leitwölfe, zu entscheiden, ob er wieder ins Rudel zurückkommen durfte.
Wolf bremste abrupt ab und näherte sich dem Leitwolf so, wie es sich für einen jungen ausgewachsenen Wolf ziemt. Mit angelegten Ohren kroch Wolf bäuchlings auf ihn zu und entschuldigte sich dafür, dass er so lange verschwunden gewesen war.
Der Leitwolf wandte stolz den Blick ab. Dann legte er mit furchterregender Schnelligkeit den Kiefer um Wolfs Schnauze, warf ihn auf den Rücken und baute sich knurrend
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