Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)
sich wieder zu ihm.
Wenig später vernahmen sie Stimmen und sahen auf und ab hüpfende Binsenlichter. Die Jäger des Otterclans.
Unbemerkt waren sie ihnen plötzlich ganz nahe gekommen : kleine biegsame und schlanke Gestalten mit Speeren und zornigen grünen Gesichtern, die in ihren wendigen, aus gelbem Schilfrohr geflochtenen Booten heranruderten.
»Dort drüben!«, schrie einer. »Im Schilf.«
Zu Toraks Linken lag der Sumpf und rechts eine kleine, mit Krähenbeersträuchern überwucherte Anhöhe, die ihm keinerlei Deckung bot. Er bellte Wolf den Befehl zu, sich zu trennen. Wolf gehorchte und Torak watete ins Schilf.
Er verzog das Gesicht, als seine Füße tief in den Schlamm einsanken, und zwang sich weiterzugehen, bis er bis zum Hals im Schilf stand. Hier würden sie ihn nicht finden.
Der Nebel löste sich auf und das Schilf lichtete sich plötzlich. Torak hatte das offene Wasser erreicht.
Er erspähte einen vorbeitreibenden Buchenast, den vermutlich ein Sturm abgerissen hatte, und ging dahinter geduckt in Deckung.
Als etwas über seinen Fuß glitt, schrie er unwillkürlich auf.
Die Otter riefen aufgeregt durcheinander. Sie hatten ihn gehört. Jetzt kamen sie im Nebel immer näher: drei Schilfboote mit abgerundetem Bug und Heck. Sie erinnerten an Wasservögel. In dem einen saßen zwei Jäger, einer davon hielt das Ruder, der andere ein Binsenlicht und einen Fischspeer mit Grünsteinspitze.
Vorsichtig linste Torak durch die Blätter des Buchenastes.
Irgendwo hinter ihm erhob sich aufs Neue jener geisterhafte, zitternde Schrei.
Die Otter erstarrten. Die Frau im mittleren Boot bewegte das Kanu mit einem kräftigen Ruderschlag weiter voran, bis sie keine zwei Schritte von Torak entfernt anhielt.
Aus Angst, entdeckt zu werden, blieb er stocksteif stehen, wagte es nicht einmal, sich tiefer zu ducken.
Während die Otterfrau das Boot mit gleichmäßigen Ruderschlägen an einer Stelle hielt, spähte ihr Begleiter suchend ins Schilf, nichtsahnend, dass sich die Beute direkt vor seiner Nase befand.
Er trug dieselbe ärmellose Tunika aus goldgelbem Knüpfgras wie seine Gefährtin. Sein langes braunes Haar war nicht gebunden, lediglich ein silbrig glänzendes Fischhautband schmückte seine Braue und ein zweites war in seinen Bart eingeflochten. Seine Ohrläppchen zierten Haken aus Fischgräten, die springenden Forellen glichen. An einem Ohrring hing ein Streifen dunkelbraunes Otterfell. Das Gesicht des Mannes war, wie Torak an den feinen Rissen um Augen und Mund erkannte, mit grünem, getrocknetem Lehm überzogen, und seine Clantätowierung bestand aus wellenförmigen blaugrünen Streifen, die ihm bis an die Kehle reichten und seinem Kopf das Aussehen einer sonderbaren kapselförmigen Schote verliehen, die im Schilf aufragte.
Einer Schote mit Augen. Im unruhigen Licht des Wassers wanderten diese Augen jetzt über Toraks Kopf hinweg – und für einen zweiten Blick zurück.
In der Ferne heulte ein Wolf.
Der Ottermann zischte und seine Gefährtin berührte das Fell ihres Totemtiers.
Abermals Heulen. Torak wusste, dass es Wolf war, der da heulte, konnte aber nicht verstehen, was er sagte. Er hörte lediglich die Not in der Stimme seines Gefährten.
Das Heulen schien die Otter zu beunruhigen. Die Frau steuerte das Boot weg von Toraks Versteck und er bedankte sich schweigend bei seinem Rudelgefährten.
Plötzlich war hinter ihm ein Platschen zu vernehmen. Als er sich umwandte, starrte ihn ein großer grauer Vogel mit lebhaften dunkelroten Augen an, breitete dann die Schwingen aus und erhob sich dicht über den Ottern in die Luft.
Die Otterfrau folgte dem Flug des Tieres mit ihren Blicken und nickte, als habe es zu ihr gesprochen. Sie hob die Hand, gab ihren Begleitern in den anderen Booten ein wellenförmiges Handzeichen, woraufhin sich alle in Suchtrupps aufteilten.
Er konnte sein Versteck nicht verlassen, ohne dass sie ihn sofort bemerkten. Blieb er, hatten sie ihn bald eingekesselt.
Es sei denn …
Er besaß immer noch das Rohr aus dem Lobelienstängel. Es war zwar höchstens so lang wie ein Unterarm, und er wusste auch nicht mehr recht, ob er es bereits auf Durchlässigkeit überprüft hatte, aber das würde er jetzt ohnehin bald herausfinden.
Er steckte sich das eine Ende zwischen die Lippen und ließ sich langsam unter Wasser sinken.
Wasser stieg ihm in die Nase, aber er zwang sich, durch den Mund zu atmen, und betete inständig, dass ihn die anderen nicht hörten. Mit vorsichtigen
Weitere Kostenlose Bücher