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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Osten, immerzu nach Osten, bis er hier gelandet war.
    Die Wunde in seiner Brust pochte. Ihm war, als hörte er im Zischen und Rascheln der Schilfgräser die böse Stimme von Seshru, der Natternschamanin:  … wie eine Harpunenspitze im Nacken der Robbe. Ein Ruck, und du musst ihm folgen, wie sehr du dich auch dagegen wehrst …
    Er hatte nicht mehr die Kraft, sich zu wehren, und taumelte an Wolf vorbei auf den Steg.

    Weit oben, am Nordufer des Sees, auf einer felsigen Landzunge, die nun deutlich aus dem Nebel auftauchte, plätscherte ein Bach.
    Neben dem Bach flackerte ein Ring aus grünen Flammen.
    In diesem Ring lag ein Kiesel mit der Tätowierung des Wolfsclans.
    Auf dem Kiesel lag ein schrumpeliger Fetzen von Toraks Haut mit dem Zeichen der Seelenesser.
    Um Kiesel und Haut wand sich der Leib einer grünen tönernen Schlange.
    Während der Ton langsam trocknete, krümmte sich der Schlangenleib immer dichter um Haut und Stein.
    Eine grüne Hand strich über den Kiesel: einmal, ein zweites, dann ein drittes Mal.
    Eine Stimme erhob sich murmelnd, mischte sich mit dem Zischen der Flamme wie ein Dämon, der in bösen Träumen ein und aus geht.

    Wenn das Schilf krächzt und der Sturm ächzt, denk an mich.
    Wenn der Donner knurrt und der Wind murrt, denk an mich.
    Ich bin das Schilf, bin der Sturm, bin der Donner, bin der Wind.
    Ich rufe dich, rufe deine Seelen zu mir.
    Niemals gewähre ich Freiheit dir,
    denn du gehörst alleine mir.

Kapitel 14

    Der Steg fing plötzlich zu schlingern an und Torak wäre um ein Haar in den See gestürzt. Er ließ sich auf alle viere fallen und hielt sich mit beiden Händen fest.
    Wolf stand hinter ihm und bohrte die Klauen in die Planken. Wie er solche kippeligen Angelegenheiten verabscheute!
    Der Gang war zu schmal zum Umdrehen, daher musste Torak sich mit einem ermutigenden Blick über die Schulter begnügen. Wolf ließ die Ohren hängen und zuckte unglücklich mit dem Schwanz.
    Das Schlingern ließ ebenso plötzlich nach, wie es begonnen hatte, und Torak rappelte sich langsam und vorsichtig auf. Die Bretter sahen trügerisch aus, und das Schilf wuchs so dicht, dass er es mit beiden Händen beiseiteschieben musste. Er scheute die Berührung der langen Rispen, die sich wie feuchtkalte Finger anfühlten.
    Der Nebel zog sich zusehends dichter zusammen, bis der Steg auf einen schmalen Strich einzelner Querhölzer zusammenschrumpfte, deren Ende miteinander verzurrt und seitlich von tief im Schilf eingesunkenen Pfosten begrenzt war. Der Steg wand sich kreuz und quer durchs Röhricht, und Torak wusste binnen Kurzem nicht mehr, wo er sich befand, und vermochte nicht zu sagen, ob er auf den See zusteuerte oder das Ufer umrundete.
    Bisweilen schlug säuerlich riechendes braunes Wasser über Toraks Füßen zusammen, dann wieder überquerte er stinkenden Sumpf. Das Schilf veränderte sich unaufhörlich : Aus den aschfarbenen, speerförmigen Stängeln mit den fedrigen dunkelroten Blüten wurden knarrende Kolben, deren braune plumpe Köpfe ihm verstohlen auf die Schulter tippten. Seine Anwesenheit hier war unerwünscht. Falls er vom Steg fiel, würde das Röhricht ihn unter Wasser festhalten, bis er ertrunken war oder das Verborgene Volk ihn in den Schlick zerrte.
    Derlei hatte er bereits mit eigenen Augen gesehen. Einmal hatte er gemeinsam mit Fa einen Rothirsch gefunden, der bis zum Hals im Sumpf steckte. Das Tier war vor Erschöpfung bereits halb tot gewesen, aber sie hatten nichts tun können, um seinem Leiden ein Ende zu bereiten. Es bringt Unglück, jenen zu helfen, die das Verborgene Volk für sich beansprucht. Stattdessen war Fa niedergekniet, hatte den Kopf des Hirsches gestreichelt und ein Gebet gemurmelt, das ihm helfen sollte. Noch viele Monde hatte Torak der Blick der trüben braunen Augen verfolgt, und er hatte sich gefragt, wie lange der Todeskampf gedauert haben mochte.
    Wolfs warnendes »Wuff« holte ihn jäh in die Gegenwart zurück.
    Vor ihnen kauerte etwas auf dem Steg.
    Toraks Hand ging unwillkürlich zur Schulter – aber natürlich trug er kein Totemabzeichen mehr. Nichts konnte ihn vor diesem Dämon oder Tokoroth schützen.
    Im Näherkommen erkannte er, dass es sich keineswegs um ein Wesen, sondern um einen brusthohen Pfahl neben dem Steg handelte. Der Pfahl war mit scheußlicher grauer Leimfarbe bestrichen, auf die ein verwirrendes Fischgrätmuster aus winzigen grünen Punkten aufgetupft war. Auf der Pfahlspitze steckte ein kleiner, entstellter Kopf aus grünem Lehm,

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