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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Er war wieder dort, wo er aufgebrochen war.
    Plötzlich kam ihm ein schrecklicher Gedanke.
    Um festzustellen, ob er sich womöglich täuschte, hielt er erneut auf den Wald zu und folgte seinen eigenen Spuren, bis er abermals das Schilf erreichte – nur dass er diesmal nach Süden statt nach Norden ging. Es dämmerte bereits, als er wieder auf den Strand taumelte. Es war derselbe Strand und dieselben Spuren. Seine eigenen.
    Eine Insel. Der See hatte ihn auf eine Insel gespien, einen Ort, den selbst die Otter fürchteten und mieden. Er saß in der Falle: Im Osten schnitt ihm der See den Fluchtweg ab und im Westen das undurchdringliche Schilf.
    Der Wind rüttelte an den Bäumen. Er starrte sie ratlos an. Wie hießen diese Bäume? »Kiefer«, sagte er unsicher. »Birke? Wacholder?«
    Hör zu, was der Wald dir erzählt , hatte ihn Fa immer ermahnt. Aber der Wald sprach nicht mehr zu ihm.
    Nachdem er Zweige und Zunder gesammelt hatte, stolperte er blindlings an den Strand zurück und legte seinen Vorrat an der windabgewandten Seite eines Felsens ab, damit die Otter den Rauch nicht entdeckten. Zuerst wollte der Feuerstein keine Funken spucken, aber schließlich gelang es doch. Murmelnd kauerte er sich am Feuer zusammen.
    Ein einsamer Schrei hallte über den See. Der Ruf des rotäugigen Vogels, der ihn im Schilf verraten hatte.
    Andere Stimmen gesellten sich zu dem einsamen Rufer, doch diesmal waren es keine Vögel, sondern Wölfe.
    Torak sprang auf und zückte sein Messer. Er hatte das Lied der Wölfe immer geliebt, aber jetzt machte es ihm plötzlich Angst.
    Ein anderer Wolf antwortete dem Ruf des ersten. Torak kannte dieses Heulen. Es war Wolf… sein Wolf. Dennoch konnte er nicht verstehen, was er sagte. Die vertraute Stimme war ebenso unverständlich wie das Jaulen eines Luchses.
    »Wolf!«, schrie Torak. »Komm zurück.«
    Aber Wolf kam nicht.
    Wolf hatte ihn verlassen.
    Torak ballte die Fäuste. Nun gut. Dann sollte es eben so sein.

    Wolf jagte durch den Wald. Wo war Groß Schwanzlos?
    Eben noch hatten sie gegen das Große Nass gekämpft, im nächsten Moment war er verschwunden! Wolf hatte versucht zu heulen, aber das Nass war ihm in die Schnauze gelaufen, und er hatte es mit der Angst zu tun bekommen. Er hatte Groß Schwanzlos vergessen, er hatte alles vergessen außer seinen Pfoten, mit denen er wild um sich schlug – bis er schließlich wieder festen Boden gespürt hatte.
    Nun lief er ziellos hierhin und dorthin, schnüffelte nach vertrauten Gerüchen. Er roch Farn und Biber, Otter und Preiselbeere, hörte die Schwanzlosen auf ihrem Schwimmgras, und die Verborgenen, die aus dem Nass heraus- und wieder hineinglitten. Die Sorge nagte an ihm. Vielleicht war Groß Schwanzlos Ohn-Hauch.
    Ein Schrei erklang zwischen den Bäumen: ein verzweifelter Schwanzlos-Schrei.
    Wolf blieb stehen, drehte die Ohren und hob witternd die Schnauze. Diesen Geruch kannte er. Groß Schwanzlos ! Wolf jagte in Windeseile der Witterung nach, sauste zwischen Bäumen hindurch, setzte über Farnkraut hinweg  – und da war endlich sein Rudelgefährte. Er kauerte hinter einem Felsen am Rande des Großen Nass, neben einem kleinen Hellen-Tier-das-heiß-beißt.
    Als Wolf zwischen den Bäumen hervorstürmte, wandte sich Groß Schwanzlos um und starrte ihn an.
    Wolf setzte in großen Sprüngen über die schwarzen Steine, warf sich zur Begrüßung begeistert auf seinen Rudelgefährten, stellte sich auf, legte ihm die Pfoten auf die Brust und schleckte ihm über die Schnauze.
    Groß Schwanzlos schob ihn weg und wedelte dabei drohend mit seiner großen Pfote.
    Wolf sprang zurück.
    Wieder schlug Groß Schwanzlos nach ihm und jaulte dabei in Schwanzlossprache.
    Wolf hörte die Angst in seiner Stimme, erkannte sie auch in den schönen Silberaugen. Wie war das möglich? Groß Schwanzlos hatte doch nicht etwa Angst vor Wolf?
    Verwirrt hockte sich Wolf nieder. Er fühlte, wie ein Winseln in seiner Brust aufstieg.
    Plötzlich packte Groß Schwanzlos ein Stück des Hellen Tieres und schleuderte es auf Wolf – ja, er schleuderte das Helle Tier auf Wolf! Wolf brachte sich mit einem Sprung zur Seite in Sicherheit, aber das Helle Tier erwischte ihn trotzdem an der Schnauze. Er jaulte auf.
    Groß Schwanzlos bleckte fauchend die Zähne und griff ihn ein zweites Mal an. Wolf konnte sein Jaulen nicht verstehen, aber er wusste auch so, was es bedeutete. Geh weg! Du bist nicht mehr mein Rudelgefährte! Geh weg!
    Außer sich vor Schmerzen und Entsetzen sprang Wolf

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