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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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auf und davon.

    Als Wolf verschwunden war, stand Torak zitternd am Strand.
    Trotz seiner Erschöpfung wagte er es nicht, zu schlafen. Sobald er schlief, würden sie kommen. Die Wölfe. Die Otter. Das Verborgene Volk. Die Seelenesser. Alle, alle waren sie gegen ihn.
    Axt und Messer umklammernd, wiegte er sich vor und zurück und starrte in die Flammen. Er hatte Hunger. Er hätte Fallen bauen und Angeln auslegen müssen, aber er wusste nicht mehr, wie er das anstellen musste.
    Dann nickte er ein.
    Rote Augen gingen auf Torak los. Er erwachte mit einem Schrei. Diese Augen waren kein Traum. Sie waren nicht rot, sondern gelb. Wolfsaugen.
    Er packte einen brennenden Ast und schlug um sich, ein Funkenregen wirbelte durch die Dunkelheit.
    Die Wölfe wichen zurück. Ihre Augen waren starr und furchterregend. Sie gaben keinen Laut von sich.
    Wolf befand sich unter ihnen, Wolf, der sein Rudelgefährte gewesen war und ihn nun verlassen hatte.
    Mit gesenktem Kopf und peitschendem Schwanz kam Wolf drohend näher.
    Toraks Herz krampfte sich zusammen. Wolf war gekommen, um ihn zu quälen. Sieh her, ich habe ein neues Rudel gefunden! Ich brauche dich nicht mehr!
    »Geh weg!«, flüsterte Torak.
    Wolfs Ohren zuckten, sein Schwanz stand still.
    »Geh weg!«, fauchte Torak. Er schleuderte den brennenden Ast auf Wolf, der beiseitesprang.
    Die Wölfe beobachteten alles mit starrem Blick, stumm und reglos. Dann trotteten sie, einer nach dem anderen, zurück in den Wald.
    Wolf verschwand als Letzter zwischen den Bäumen. Er drehte sich noch ein letztes Mal nach Torak um, dann wehte er wie Nebel davon.
    Plötzlich war es sehr still.
    Mit verächtlichem Keckern flog ein großer Vogel über ihn hinweg! Torak versuchte, sich auf den Namen des Tieres zu besinnen. Raben. Rabenclan … Renn. Sie war seine Freundin gewesen. Oder etwa nicht? Er konnte sich nicht mehr an ihr Gesicht erinnern.
    Er berührte die blutende Wunde auf seiner Brust. Da war etwas, was er hatte tun müssen …
    Die Seelenesser. Er hatte beweisen wollen, dass er keiner von ihnen war. Damit die Clans ihn wieder aufnahmen.
    Das alles schien so furchtbar lange zurückzuliegen.
    Die Sonne tauchte zwischen den Bäumen auf. Schatten krochen über den Strand, während er am sterbenden Feuer hockte. Das Summen in seinem Schädel wurde immer unerträglicher. Er spürte das Verborgene Volk ringsum: Sie beobachteten ihn, warteten. Fieberhaft legte er neues Holz aufs Feuer.
    Der blasse Mond stieg am blauen Himmel auf, und plötzlich fiel Torak ein, dass heute Mittsommernacht war. Seine Geburtsnacht.
    »Vierzehn«, murmelte er. Seine Stimme klang ihm rau und fremd in den eigenen Ohren. »Du bist vierzehn Sommer alt. Alles Gute, Torak.«
    Er fing an zu lachen.
    Und nachdem er erst einmal damit angefangen hatte, konnte er nicht wieder aufhören.

Kapitel 16

    Fin-Kedinn bohrte den Speer ins Feuer und die aufstiebenden Funken wirbelten um das Geweih auf seinem Kopf.
    Die Raben stießen einen Freudenschrei aus, in den die stolzen, frohen Bäume mit Blättergeraschel einstimmten. Es war Mittsommernacht, die Nacht, in der alle Clans den Wald ehrten, dem Lauf der Sonne folgend das Feuer umkreisten und die Bäume mit Girlanden aus Knochen und Beeren schmückten.
    Alle, außer Renn.
    An diesem Fest teilzunehmen wäre ihr wie ein Verrat an Torak vorgekommen. Er war in der Mittsommernacht zur Welt gekommen. Wie hätte sie da am Feuer sitzen und Eintopf aus Lachsleber und rauchgeschwärztem Eber schmausen können?
    Seit dem Sippentreffen war beinahe ein Mond verstrichen, und es war beinahe zwei Monde her, dass Torak ausgestoßen worden war. Traurigkeit bedrückte sie unaufhörlich, als läge ihr ein schwerer Stein auf der Brust.
    »Und wenn ihm was zugestoßen ist?«, hatte sie Fin-Kedinn heute Morgen gefragt. »Wenn er gestürzt ist und sich ein Bein gebrochen hat und nicht mehr auf die Jagd gehen kann?«
    »Er ist zäh«, hatte ihr Onkel erwidert. »Außerdem ist er nicht zum ersten Mal auf sich allein gestellt, er schlägt sich schon durch.«
    »Aber wie lange?«
    Darauf war ihr Fin-Kedinn eine Antwort schuldig geblieben.
    Seit dem Sippentreffen waren die Raben den Axtknauffluss in östlicher Richtung hinaufgezogen, und sobald sich die Gelegenheit bot, hatte Renn den Wald verstohlen nach Spuren von Torak durchkämmt, bisher allerdings vergebens. Mitunter schrak sie mitten in der Nacht auf und dachte: Was wäre, wenn er nie mehr zurückkommt?
    Sie konnte natürlich nicht wissen, ob er die

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