Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)
Zeremonie vollzogen hatte, spürte jedoch, dass etwas auf fürchterliche Weise schiefgelaufen war. Die Zeichen standen schlecht. Sie wünschte nur, sie wüsste, was diese Zeichen zu bedeuten hatten.
Renn befühlte die Narbe an ihrem Unterarm, dort, wo die Schaufel des Elchs sie verletzt hatte. Mittlerweile war die Wunde zwar verheilt, aber das schreckliche Erlebnis wirkte immer noch in ihr nach. Wenn der Jagdtrupp damals nicht zufällig ihre Schreie gehört hätte …
Kurz darauf, unmittelbar nach dem Sippentreffen, war Aki plötzlich spurlos verschwunden. Seine Freunde hatten nur die Überreste seines Bootes gefunden. Renn hatte eine schreckliche Ahnung, dass Torak damit zu tun haben könnte.
Aber niemand schien sich darum zu scheren. Alle taten so, als existierte er überhaupt nicht mehr.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Feuers flocht Bale Girlanden aus Brombeersträuchern. Sein Haar hatte er mit einem Streifen Robbenfell zurückgebunden und er sah ausgesprochen gut aus. Während die anderen Mitglieder seines Clans auf die Inseln zurückgekehrt waren, hatte er es vorgezogen, bei den Raben zu bleiben, aber statt sich auf die Suche nach Torak zu machen, hatte er sich, zu Renns Enttäuschung, die Zeit damit vertrieben, in seinem geliebten Boot aus Robbenhaut an der Küste auf die Jagd zu gehen. Insgeheim hatte sie mehr von ihm erwartet.
»Möge der Weltgeist unter euren Ästen hindurchschreiten«, sagte Fin-Kedinn zum Wald gewandt. »Auf dass ihr wachst, gedeiht und viele Schösslinge sät.«
Renn konnte es nicht mehr ertragen. Sie sprang auf und rannte aus dem Lager.
Die Rabenschamanin hockte wie eine Kröte am Ufer. Sie hatte das Fest verlassen, um die Knochen zu befragen. Nun ruhte ihr teilnahmsloser Blick auf Renn. »Sieh einer an. Kommst du endlich, um mich um Hilfe zu bitten.«
»Nein«, sagte Renn. »Ich habe dich noch nie um Hilfe gebeten.«
»Trotzdem suchst du mich auf.«
Renn knirschte mit den Zähnen. Sie warf sich unwirsch ins Farnkraut und zerriss das Blatt einer Klette in winzige Fetzen. »Ich sehe Zeichen und kann sie nicht deuten. Bring mir bei, wie ich sie lesen muss.«
»Nein«, gab Saeunn zurück. »Du bist noch nicht so weit.«
Renn starrte sie wütend an. »Du bist doch diejenige, die mich dazu zwingen will, die Schamanenkunst zu erlernen.«
»Wenn du jetzt versuchst, die Zeichen zu deuten, könntest du großes Unheil heraufbeschwören.«
»Warum?«, fragte Renn.
Die Schamanin beschrieb mit ihrem Stab einen Kreis auf dem schlammigen Boden und legte drei schmutzigweiße Kiesel in die Mitte. »Du hast eine besondere Begabung dafür, Zeichen miteinander in Verbindung zu bringen, bis ein Netz neuer Bedeutungen entsteht. Bisher war dir das nur in deinen Träumen möglich. Um dich dieser Gabe kraft deines Willens zu bedienen, musst du in der Lage sein, deinen Geist vollkommen zu öffnen.«
Renn hob trotzig das Kinn. »Das könnte ich schon schaffen.«
»Närrin!« Zornig schlug Saeunn ihren Stab auf den Boden. »Hast du denn gar nichts begriffen? Deine erste Mondblutung hat deine Macht auf geradezu unheimliche Weise anwachsen lassen – aber diese Kraft ist noch roh und unerprobt! Es könnte furchtbare Auswirkungen haben, wenn du deinen Geist zu diesem Zeitpunkt öffnest – nicht nur für dich, sondern auch für andere!«
Die beiden Frauen – das alte Weib und das junge Mädchen –, zwischen denen es keine andere Verbindung gab als den unbarmherzigen Bund der Schamanenkunst, funkelten einander feindselig an.
Renn schlug als Erste die Augen nieder. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass Torak zu keinem Clan gehört?«
»Die richtige Zeit war noch nicht gekommen.«
»Und warum hast du es sogar Torak selbst verschwiegen?«
»Du hast ihm ja auch mancherlei verschwiegen.«
Renn zuckte schuldbewusst zusammen.
»Er folgt seiner Bestimmung«, erklärte die Rabenschamanin. »Dies ist ein Teil seines Loses. Und seine Verbannung ebenso.«
Renn wollte gerade die nächste Frage stellen, als sie Bales Gestalt auf dem Pfad, der zu ihnen führte, herannahen sah. Als sie ihm befahl, wegzugehen, hörte er nicht auf sie.
»Wenn ihr über Torak redet«, sagte er zu Saeunn, »habe ich das Recht, dabei zu sein. Ich bin sein Verwandter.«
»Warum benimmst du dich dann nicht wie ein Verwandter und versuchst, ihm zu helfen?«, fragte Renn.
»Und wie steht es mit dir? Was hast du denn unternommen?«, gab er zurück.
»Niemand darf dem Ausgestoßenen beistehen«, mahnte Saeunn.
»Und
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