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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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letzten Frühjahr.« Prüfend musterte sie die Gesichter der beiden. »Jemand macht den See krank.«
    Die Otter wiegten sich stöhnend und jammernd hin und her, und viele von ihnen berührten dabei den Pelz ihres Totemtiers, den sie an einem Ohrring trugen.
    »Vor einer Weile«, fuhr Ananda fort, »wurde eines unserer Kinder krank und unser Schamane schickte nach der heiligen Erde. Wir stellten fest, dass jemand die Heilquelle entweiht und geplündert hatte. Ein Fremder hatte gestohlen, was nur ein Otter berühren darf. Damals fing alles an.« Sie erschauerte. »Viele von uns fielen in einen totenähnlichen Schlaf und erwachten schreiend, weil sie in ihren Träumen von sich windenden Dämonen gebissen wurden. Dann fingen wir mit einem Mal keine Fische mehr.«
    Yolun schüttelte den Kopf. »Früher war der See so fischreich, dass man aus dem Boot aussteigen und über die Rücken der Fische zurück ans Ufer laufen konnte. Doch in diesem Frühjahr … so gut wie nichts mehr. Und die wenigen, die wir fingen, waren missgebildet. Verflucht.«
    »Frühjahr um Frühjahr speist der Eisfluss den See mit Wasser«, erklärte Ananda. »Das ist die Zeit des Reichtums und des Überflusses, wenn der See so hoch steigt, dass wir uns von seiner plätschernden Stimme unter unseren Hütten in den Schlaf singen lassen. Doch in diesem Frühjahr ist die Flut ausgeblieben. Das Wasser sinkt mit jedem Tag.«
    »Der Ärger kommt seit jeher aus dem Westen!«, rief Yolun und heftete die rot umrandeten Augen böse auf die Fremden. »Wir hatten von einem Ausgestoßenen gehört, der zum See unterwegs sein soll. Schließlich haben wir ihn selbst gesehen. Er ist derjenige, der die heilige Erde geraubt hat, er ist schuld an unserer misslichen Lage. Und nun sind diese Fremden hier und machen alles noch schlimmer. «
    Als er Torak erwähnte, erstarrten Renn und Bale unwillkürlich und wagten es nicht, einander anzusehen.
    Der Anführerin war dies nicht entgangen. »Ihr kennt den Ausgestoßenen. Wer seid ihr?«
    »Ich bin Bale vom Robbenclan«, antwortete Bale stolz.
    »Ich bin Renn vom Rabenclan. Ich bin die Tochter von Fin-Kedinns Bruder. Dyrati kennt mich.«
    Statt einer Antwort verschränkte Dyrati wortlos die Arme.
    Renn reckte den Arm und zeigte den Ottern ihren Armschutz. »Seht ihr? Das ist aus Schiefer. Fin-Kedinn hat ihn für mich nach Art der Otter gemacht, so, wie er es damals gelernt hat, als er bei eurem Clan lebte.«
    Ein alter Mann hob die wässrigen Augen von seiner Schüssel. »Ich erinnere mich an ihn. Ein ungestümer junger Mann, aber er erwies dem See seine Ehrerbietung.«
    »Selbst wenn das Mädchen die Wahrheit spricht«, sagte Yolun, »was ist mit dem Jungen? Eine Robbe am See? Wie kann das richtig sein.«
    »Er versteht etwas vom Wasser«, wandte Renn rasch ein. »Außerdem trägt er eine Schilftätowierung am Arm.«
    Bale trug zwar eine Algentätowierung, war jedoch schlau genug, das für sich zu behalten.
    »Das zählt alles nicht!«, ereiferte sich Yolun. »Ihr habt alle gesehen, wie sie zusammengezuckt sind, als ich den Ausgestoßenen erwähnt habe.«
    Die Anführerin musterte Bale prüfend. »Kennst du den Ausgestoßenen?«
    Bale hob das Kinn. »Ja. Aber das ist schließlich kein Verbrechen.«
    »Ihm zu helfen schon«, fauchte Yolun.
    Bale spannte die Muskeln an.
    »Seht ihr?«, hetzte Yolun. »Sie stecken mit ihm unter einer Decke, das macht sie ebenfalls zu Ausgestoßenen! Ananda, wir müssen sie töten, sonst kommt es noch schlimmer!«
    »Nein!«, widersprach Renn hitzig. »Wir haben nichts mit euren Schwierigkeiten zu tun. Aber – aber ich kenne den Grund dafür.«
    »Wie kann das sein? Warum bist du hergekommen?« Ananda beugte sich näher zu ihr. In ihren seltsamen graugrünen Augen schien sich das Licht des Sees widerzuspiegeln.
    Renns Herz begann heftig zu pochen. Die Anführerin würde eine Lüge sofort durchschauen. Aber wenn sie ihren wahren Beweggrund angab …
    »Jenes Böse, von dem du sprichst«, sagte Renn und überlegte sich jedes Wort genau, »der ausbleibende Fang, die sich windenden Dämonen aus euren Träumen – diese Plage wird sich über den gesamten Wald ausbreiten, wenn ihr sie nicht aufhaltet.« Sie hielt inne. »Auf dem See verbirgt sich ein Seelenesser. Das ist die Ursache des Unheils. Und deswegen sind wir hier.«
    Es war ganz still in der Hütte. Abgesehen vom gelegentlichen unregelmäßigen Zischen der Binsenlichter und dem leisen Klatschen, mit dem das Wasser gegen die Pfähle schwappte,

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