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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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konnte nichts sehen. Wahrscheinlich hatte er ihn verscheucht.
    Aber es war ungewöhnlich für einen Luchs, einen ausgewachsenen Wolf anzugreifen. Meist schlugen sie Kaninchen und Eichhörnchen – und Wolfsjunge, wenn sie welche erwischten. Der Luchs musste hinter den Welpen her gewesen sein und der Wächter war ihnen zu Hilfe geeilt.
    Ein Jaulen aus der Höhle verriet ihm, dass der Wolf seine Aufgabe erfüllt hatte. Torak schob das Messer zurück in die Scheide und kroch nach drinnen.
    Der Tunnel war gerade breit genug, um ihn durchzulassen. Als er den erdigen Wolfsgeruch einatmete, war er sofort wieder in der Höhle, in die Fa ihn als kleines Kind gesteckt hatte. Seine Rudelgefährten maunzten, als sie über ihn krochen, und der Atem der Mutter wärmte seine Haut, während sie ihn mit Nasenstübern dazu aufforderte, an ihren Zitzen zu saugen. Er kauerte sich in ihre pelzige Flanke und ihre Milch schmeckte kräftig und warm.
    Jetzt war er durch den Tunnel hindurch und befand sich in der Geburtshöhle. Sobald sich seine Augen an die Dunkelheit angepasst hatten, sah er, dass sie ungefähr so groß wie eine Hütte des Rabenclans war, aber nur so hoch, dass ein Wolf aufrecht darin stehen konnte. Er sah Augen glitzern. Ein flauschiges Knäuel wich vor ihm zurück.
    Er jaulte leise, um die Wolfskinder zu beruhigen, doch sie waren völlig verschreckt. Er war ein Fremder und sie hatten gerade ihren Onkel verloren.
    Also schob er sich rückwärts wieder aus dem Bau heraus  – und sah eben noch, wie ein großer Schatten von dem niedergemetzelten Wolf wegsprang.
    »Hau ab!«, rief er und wedelte mit den Armen. Sein Rufen endete in einem Hustenanfall, bei dem er sich zusammenkrümmen musste.
    Der Luchs sprang in einen Baum und ließ sich dort mit peitschendem Schwanz nieder.
    Torak zog das Messer und nahm seinen Platz bei dem toten Wolf am Fuße des Felsbrockens ein. Er würde die Jungen so lange bewachen, bis das Rudel zurückkam.
    Es war trotz allem seltsam, dass sein Eintreffen den Luchs nicht verjagt hatte. Luchse griffen selten Menschen an, und wenn sie jagten, jagten sie nur Jungtiere und Kranke.
    Erneut schüttelte ihn ein Hustenanfall. Als er vorüber war, schwitzte er. Sein Atem hörte sich an wie trockenes Laub.
    Plötzlich wusste er, warum. Der Luchs spürte, dass er krank war. Er hatte seine Stimme gehört und es am Geruch seiner Haut erkannt.
    Genau wie die Jungen war er für den Luchs nichts anderes als Beute.

Kapitel 24

    Der Luchs sprang geräuschlos vom Ast und fing an, um Torak herumzuschleichen.
    Torak versuchte, nach Wolf zu heulen, brachte aber bloß ein leises Krächzen zustande.
    Die Nacht war warm, der Gestank des zerfleischten Wächters schnürte ihm die Kehle zu. Der Kadaver lag so nahe, dass er ihn berühren konnte.
    Zu nahe. Er könnte ihn weiter wegziehen, damit der Luchs sich in Ruhe daran gütlich tun konnte. Sollte er die Toten nehmen und die Lebenden in Frieden lassen.
    Aber während er das tat, machte sich der Luchs womöglich an die Jungen heran. Torak stellte sich vor, wie die kleinen Seelen hin und her tappten und mit den Nasen ihre Kadaver anstießen. Er schloss die Finger fester um den Messergriff.
    Hinter ihm ertönte ein Geräusch. Er wirbelte herum.
    Sah nichts als den Stein. Aber Luchse sind hervorragende Kletterer, die sich gerne von oben auf ihre Opfer stürzen.
    Wenn er nur seine Axt dabeihätte. Warum hatte er sie in seinem Unterschlupf gelassen? Dass er ohne Essen, Axt und Zunder losgegangen war …
    Kein Zunder.
    Mit Feuer hätte er ihn verjagen können. Er hätte etwas von dem Zunderpilz mitnehmen sollen. Der alte Torak … der vor dem Wahnsinn … hätte niemals einen solchen Fehler begangen.
    Wieder schüttelte ihn ein Hustenkrampf. Als er vorüber war, taten ihm die Rippen weh, und schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen.
    Der Luchs lag gerade außerhalb seiner Reichweite geduckt im Halbdunkel. Torak sah die glänzenden Silberaugen, roch den widerlichen Katzengestank.
    Dann erblickte er etwas, bei dem sich sein Magen schier umdrehte. Direkt hinter dem Luchs, im Eingang der Höhle, tauchten zwei stumpfe Schnauzen auf.
    Torak bellte eine Warnung. Wuff! Gefahr!
    Die Schnauzen verschwanden blitzschnell wieder nach drinnen.
    Der Luchs hatte die Bewegung wahrgenommen und drehte den Kopf.
    »Hier! Hier bin ich!«, rief Torak, um ihn abzulenken. Rufend und mit Steinen werfend entfernte er sich Schritt für Schritt von der Höhle.
    Der Luchs bleckte die Zähne und knurrte.

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