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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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sie schwimmend zu erreichen.
    Sie sah zu, wie Bale zum Ufer ging und in den Kiefernnadeln herumstocherte, die sich zwischen den Steinen festgebacken hatten. Seit sie aufgewacht waren, hatte er kaum ein Wort geredet.
    »Wir haben ja immer noch unsere Äxte und Messer«, sagte sie, um sich Mut zu machen. »Und meinen Köcher und Bogen.«
    »Stimmt«, antwortete er, ohne sich umzudrehen. »Aber alles andere haben wir verloren. Unsere Verpflegung. Die Biberfellumhänge. Beide Paddel.« Er brachte es nicht über sich, das Boot zu erwähnen, das zwischen ihnen lag. Sein Rückgrat aus Walknochen war zwar noch heil, aber die Rippen auf der linken Seite waren zerschmettert und die Hülle aus Robbenleder arg zerfetzt.
    »Ich glaube nicht, dass wir es wieder hinkriegen«, sagte Renn.
    »Müssen wir aber«, blaffte er zurück.
    »Hier gibt’s Bäume. Wir können uns einen Einbaum bauen.«
    Er drehte sich um. »Weißt du eigentlich, wie lange es dauert, einen Baum auszuhöhlen? Hast du schon jemals einen Einbaum gebaut?«
    Nein. Natürlich nicht. Die Raben fertigten ihre Kanus aus Weiden und Hirschfell, das sie mit Fichtenwurzeln zusammenbanden.
    »Ich auch nicht«, knurrte Bale. »Ich bin vom Robbenclan, und wir nehmen das, was uns die Meermutter schenkt. Also reparieren wir mein Boot, es sei denn, du willst aus einem Bündel Schilf ein Floß flechten!«
    Renn widersprach ihm nicht. Er hatte ihr nicht vorgeworfen, sie in diese missliche Lage gebracht zu haben, was er eigentlich hätte tun können, da es letztendlich ihre Schuld gewesen war.
    Am schlimmsten war jedoch, dass sie nicht wusste, ob ihre Schamanenkunst gewirkt hatte. Sie wusste nur, dass sie noch nie im Leben dermaßen erschöpft gewesen war. Sie hatte sämtliche Warnungen in den Wind geschlagen, sie hatte sich diesem übermächtigen Willen entgegengestemmt  – und was hatte sie damit erreicht? So viel wie ein Spatz, der gegen eine Felswand flog.
    Der Wind flüsterte über die Kiefernnadeln, und ihr war, als hörte sie von irgendwoher ein höhnisches Lachen. Wie musste sich Seshru jetzt über sie amüsieren!
    Bale kniete sich neben das Robbenboot und strich über seine Flanke, als sei es ein treuer Hund, den man beruhigen musste.
    »Bale«, sagte sie. »Es tut mir leid.«
    Er zuckte die Achseln. »Du wolltest Torak helfen. Das war es wert.«
    Das hoffe ich auch, dachte Renn.
    Bale erhob sich und straffte die Schultern. »Na schön. Dann fange ich mal an mit dem Boot.«
    Sie nickte. »Und ich baue uns einen Unterschlupf. Und suche etwas zu essen.«
    Sie brauchten geschlagene vier Tage, bis das Boot wieder seetüchtig war.
    Bale hatte eine Esche gefällt, um neue Rippen daraus zu schnitzen. Sie mit der Axt dünn genug zu spalten war unmöglich gewesen, weshalb er sich eine Krummhaue gefertigt hatte, und da es auf der Insel keinen Feuerstein gab, war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich eine Klinge aus einem Stück Granit zu hauen, den er wieder und wieder mit einem anderen Stein abschliff und zurechtstutzte. Als die Rippen endlich geformt waren, musste er sie bedampfen und passend zum Schiffsrumpf biegen und anschließend die Ränder sorgsam abschmirgeln, damit sie das Robbenleder nicht durchbohrten.
    Um die Haut zu flicken, opferten er und Renn jeden Fetzen, den sie entbehren konnten: sein Fischhautwams, ihren Zunderbeutel aus Lachshaut und – mit blutendem Herzen – ihre Bogenhülle aus Robbenleder. Es war kaum genug, aber als Bale versuchte, ihre Vorräte aufzustocken, indem er Fische fing, war das, was er fing, zu grässlich, als dass man es hätte benutzen können.
    Zum Glück hatte er immer noch sein Flickzeug, Knochenahlen und Fäden aus Seehundsdarm. Trotzdem ging das Vernähen des steifen Leders schmerzhaft langsam voran. »Nein, nein, du musst Doppelnähte machen«, schalt er sie, »und ja nicht die Außenhaut durchbohren, sonst läuft Wasser ins Boot.« Er war viel geübter darin, deshalb überließ sie es bald ihm. Aber sogar mit dem Fingerhut aus Knochen waren seine Finger, als er damit fertig war, ganz wund und zerstochen.
    Während Bale sich mit dem Boot abmühte, baute Renn eine Hütte, indem sie Schilfbündel mit Schnüren aus gedrehtem Riedgras aneinanderband und diese an einem gebogenen Rahmen aus Weidenästen befestigte. Sie sammelte Kletten, Muscheln und Teichrosen zum Essen – nachdem sie aus Versehen zuerst Schwertlilien ausgegraben hatte, die abscheulich schmeckten.
    Dann richtete sie so gut es ging ihre Pfeile und schoss eine

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