Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)
wärt ihr ertrunken, jeder Einzelne von euch!«
»Hört nicht auf sie!«, schrie ein Ottermann, der Einzige, den Torak sehen konnte. »Das ist alles seine Schuld! Der Ausgestoßene hat den See erzürnt, er hat die Flut erst ausgelöst!«
»Nein, Yolun«, sagte Fin-Kedinn. »Nicht Torak. Die Natternschamanin.«
»Die Natternschamanin!«, höhnte der Anführer des Eberclans. »Das sagst du, aber wo ist sie denn? Dort steht der Seelenesser!« Er stieß seinen Speer in Toraks Richtung.
»Er ist kein Seelenesser«, sagte Fin-Kedinn. »Er hat sich das Zeichen herausgeschnitten, ihr könnt alle die Narbe sehen.«
Aber der Anführer des Eberclans war sich der Unterstützung der Meute gewiss und das verlieh ihm Mut. »Er ist ein Ausgestoßener! Das Gesetz besagt, dass ein Ausgestoßener sterben muss!«
»Dann muss das Gesetz geändert werden!«, gab der Anführer der Raben zurück.
»Warum? Weil du es sagst?«
»Weil es richtig ist.«
»Er ist ein Seelenesser und ein Ausgestoßener …«
»Er ist mein Ziehsohn!«, brüllte Fin-Kedinn.
Raben flogen aus den Bäumen. Einige der Umstehenden rückten ein wenig ab.
Nervös leckte sich der Eberanführer über die Lippen. »Seit wann?«
»Seit jetzt«, blaffte der Rabenanführer.
»Fin-Kedinn!«, rief Renn. »Fang!« Sie warf ihm Toraks Messer zu und Fin-Kedinn fing es auf. Dann zog er die Klinge über seinen Unterarm und eine Kette aus blutigen Perlen trat hervor. Er packte Toraks Handgelenk und tat bei ihm das Gleiche. Nachdem einer die Hand des anderen umfasst hielt, sprach der Rabenanführer die rituellen Worte und nahm Torak als seinen Ziehsohn an. Als er sich der Menge erneut zuwandte, blitzten seine blauen Augen. »Wenn er ein Ausgestoßener bleibt, dann bin ich auch einer! Tötet ihn – aber dann müsst ihr mich ebenfalls töten!«
Der Anführer des Eberclans packte seinen Speer fester, machte aber keine weiteren Anstalten.
Keiner der anderen rührte sich.
Dennoch spürte Torak, dass nicht einmal der Rabenanführer sie lange beschützen konnte. Er sah die Gewalt in den schmutzigen Gesichtern, die Entschlossenheit, mit der sie ihre Äxte und Speere in den Händen hielten. Sie hatten gerade eine Katastrophe überlebt und brauchten nun einen Sündenbock. Und wenn Fin-Kedinn sich ihnen in den Weg stellte – oder Bale oder Renn –, dann würden sie ebenfalls getötet.
Also nahm Torak das Messer aus der Hand des Rabenanführers und sagte leise: »Ich will nicht an deinem Tod schuld sein.«
»Versteckst dich hinter deinem Ziehvater!«, höhnte der Eberanführer.
»Fin-Kedinn«, drängte Torak, »ich muss mich ihnen selbst stellen.«
Widerstrebend trat der Rabenanführer zur Seite.
»Wo ist jetzt dein Mut, Ausgestoßener?«, höhnte der Eberanführer.
»Hier«, antwortete Torak.
Er verspürte eine seltsame Erleichterung, seinen Feinden endlich gegenübertreten zu können. »Ich verstecke mich nicht mehr. Ich habe genug davon!«, schrie er und schritt mit ausgebreiteten Armen den Ring aus Speeren ab. »Hier bin ich! Ihr könnt mich töten, wenn ihr wollt! Wen kümmert es, dass ich das falsche Ziel bin? Wen kümmert es, dass es das ist, was die Seelenesser wollen? Der Eichenschamane, die Eulenschamanin und die Natternschamanin – sie sind immer noch da draußen! Tötet mich, aber damit habt ihr überhaupt nichts erreicht!«
»Das ist ein fauler Trick«, fauchte der Eberanführer verächtlich. »Hört nicht auf ihn. Er ist der Seelenesser!«
»Ich war ein Seelenesser«, gab Torak zurück. »Sie haben mich gegen meinen Willen zu einem von ihnen gemacht.« Er schlug sich mit der Faust auf die Brustnarbe. »Ich habe ihr Zeichen herausgeschnitten – damit!« Er zückte sein Messer, warf Renn einen kurzen Blick zu, und ihre Lippen teilten sich, als ahnte sie bereits, was er vorhatte.
»Mein Vater hat mir dieses Messer gegeben, als er starb!«, erzählte ihnen Torak, »und ich benütze es dazu – ein für alle Mal –, um euch zu zeigen, dass ich kein Seelenesser bin!«
In seinen Ohren schrillte es, als er das Stirnband aufwickelte, mit dem der Griff umwunden war. Als die letzte Schicht sich löste, ließ er das Leder fallen und hielt den Griff leicht schräg, um den schrecklichen Inhalt in seine Handfläche fallen zu lassen. Das kalte rote Licht des Feueropals flammte auf.
Der Anführer des Eberclans hielt die Luft an.
Fin-Kedinns Hand schloss sich enger um seinen Stab.
Entsetzen und Ehrfurcht erfüllten alle Gesichter.
»Der Feueropal«, sagte
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