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Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Eichhörnchen anders hin, damit es aussieht, als hätte ein Wolf es gerissen. Nach so etwas halten Raben Ausschau, nach Aas.«
    Torak nickte und befolgte ihren Rat.
    Renn vergaß, dass sie mit der ganzen Sache eigentlich nicht einverstanden war, und kam ihm zu Hilfe. Mit ihren Knochenschabern zerkleinerten sie die Leber des Eichhörnchens, vermengten die Stücke mit Schnee und verstreuten sie, damit es wie Blut aussah. Dann schnitt Torak dem Tier ein Hinterbein ab und warf es ein paar Schritt weit weg, »damit es aussieht, als ob ein Wolf das Bein weggetragen hat, um es in Ruhe zu fressen.«
    Renn musterte das Ergebnis kritisch. »Schon besser.«
    Die Schatten wurden bläulich, der Wind war nach Norden weitergezogen. Nur eine sanfte Brise wehte noch vereinzelte Schneeflocken über das tote Eichhörnchen. »Nachts schlafen die Raben in ihren Nestern«, meinte Torak. »Vor dem Morgengrauen kommt bestimmt keiner.«
    Renn schauderte. »Ich glaube zwar nicht recht daran, aber laut Fin-Kedinn gibt es hier Eisfüchse. Wir müssen wach bleiben und sie verscheuchen.«
    »Feuer dürfen wir auch nicht machen, weil der Rauchgeruch die Raben abschreckt.«
    Renn biss sich auf die Lippe. »Du weißt hoffentlich, dass du nichts essen darfst? Um dich in Trance zu versetzen, musst du fasten.«
    Das hatte Torak gar nicht bedacht. »Und du?«
    »Du musst eben wegschauen, wenn ich esse. Danach bereite ich die Salbe zu, die deine Seelen entlässt.«
    »Hast du denn alles Nötige dabei?«
    Renn tätschelte ihren Medizinbeutel. »Ich habe im Wald einiges gesammelt.«
    Torak musste schmunzeln. »Du hast das Ganze ebenfalls geplant.«
    Renn blieb ernst. »Ich dachte mir, ich kann es vielleicht irgendwann gebrauchen.«
    Der Himmel wurde schwarz, ein paar Sterne funkelten. »Im ersten Morgengrauen«, sagte Torak leise.
    Es würde eine lange Nacht werden.

    Torak lag in seinem Schlafsack und gab sich Mühe, nicht zu zittern. Er hatte die ganze Nacht gezittert, jetzt reichte es ihm. Er spähte durch den Eingangsspalt der Schneehöhle und sah am Himmel den angebissenen Mond leuchten. Bald wurde es Tag. Der Himmel war wolkenlos – und kein Rabe ließ sich blicken.
    Im einen Handschuh hielt Torak ein Stück Birkenrinde mit Renns Salbe, ein Gemisch aus Hirschtalg und Kräutern, mit dem er sich Gesicht und Hände einreiben sollte, sobald Renn ihn dazu aufforderte. In der anderen Hand hatte er einen kleinen, mit einem Stück Sehne zugebundenen Lederbeutel. Darin schwelte der von Renn sogenannte »Rauchtrank«. Als Torak sich erkundigt hatte, woraus er bestand, hatte Renn erwidert, es sei besser, wenn er das nicht wisse, und er hatte nicht weiter nachgefragt. Renn hatte eine Begabung für die Schamanenkunst, wollte aber aus unerfindlichen Gründen nicht davon Gebrauch machen. Sie bekam jedes Mal schlechte Laune, wenn sie eine Zeremonie durchführen sollte.
    Toraks Magen knurrte hörbar und Renn versetzte ihm einen Rippenstoß. Torak zahlte es ihr nicht heim. Er hatte solchen Hunger, dass er das erlegte Eichhörnchen selbst verschlingen würde, wenn nicht bald ein Rabe kam.
    Am Horizont erschien jetzt ein feiner hellroter Strich und kurz darauf glitt ein schwarzer Schemen über den Sternenhimmel. Renn stieß Torak noch einmal an.
    »Hab’s auch gesehen«, flüsterte er.
    Ein kleinerer Schemen kam hinterhergeflogen, das Rabenweibchen. Flügelspitze an Flügelspitze kreisten die beiden Vögel über dem Eichhörnchen – und flogen wieder davon.
    Aber sie kamen bald zurück und flogen etwas tiefer. Beim fünften Anlauf flogen sie so niedrig, dass Torak ihre Flügel schlagen hörte, ein kräftiges, stetiges Wsch, Wsch, Wsch.
    Die beiden Vögel wandten die Köpfe hin und her und suchten das Gelände ab. Zum Glück hatte Torak das Gepäck neben der Schneehöhle verbuddelt, die dank Renns Bemühungen ein unauffälliger Hügel mit nur einem schmalen Luftschlitz war. Raben sind von allen Vögeln die klügsten, ihnen entgeht nichts.
    Gelbes Feuer strömte über den Rand der Welt, aber die Raben kreisten immer noch in der Luft und beäugten misstrauisch das vermeintliche Aas.
    Unversehens legte der eine Rabe die Flügel an und stieß herab.
    Torak zog rasch die Handschuhe aus.
    Der Vogel landete lautlos im Schnee. Aus seinem Schnabel drangen Atemwölkchen und er musterte die Schneehöhle misstrauisch. Die Spannweite seiner kohlrabenschwarzen Flügel maß mehr als Toraks ausgebreitete Arme. Augen, Federn, Beine, Klauen … alles war schwarz, wie bei dem Ersten

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