Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
schlanke Kanus hervor, die ganz anders aussahen als jene, die Torak kannte. Sie hatten einen ungewöhnlich geringen Tiefgang, Bug und Heck waren mit straff gespanntem grauem Leder bezogen. Außerdem waren die Boote offenbar ausgesprochen leicht, denn die Jungen trugen sie ohne sichtbare Anstrengung auf dem Kopf.
Sie stießen die Kanus ins seichte Wasser und sprangen hinein. Zum Rudern benutzten sie schmale Doppelpaddel und waren schon bald hinter den Uferfelsen verschwunden.
Aber Torak misstraute dem Frieden. Womöglich wollten sie ihn in eine Falle locken. Lieber noch warten. Wie alle Jäger konnte Torak stundenlang warten, ohne dass es ihm etwas ausmachte.
Der leichte Wind erstarb und das Wasser wurde glatt wie polierter Schiefer. Nur vorn am Ufer plätscherten leise kleine Wellen und eine Ente pickte im Tang.
Die Sonne ging unter. Die Ente breitete die Flügel aus und flog davon. Die Dämmerung brach an, doch der Mond des Nie-Dunkel war erst halb um und in den kurzen Nächten herrschte dunkelblaues Zwielicht.
Torak wartete immer noch ab.
Erst kurz bevor die Sonne wieder aufging, wagte er sich aus seinem Versteck. Steifbeinig vom langen Stillsitzen, kletterte er über die Felsen zum Wasser hinunter.
Seine Trage war feucht von Tau, aber als er den Inhalt überprüfte, fehlte zum Glück nichts.
Er hatte Hunger und sah sogleich nach den Angelhaken. Er bückte sich, holte die Leine ein und streifte die Tangbüschel ab, die der Wind vor sich hergeweht hatte, sodass sie sich daran verfangen hatten.
Aber … es war doch windstill gewesen. Wie war der Tang dann an seine Angelleine gekommen?
Er wollte eben kehrtmachen, als sich die Schlinge um seinen Knöchel stramm zog und ihn umriss.
Kapitel 16
IM FALLEN PRALLTE Torak mit dem Hinterkopf gegen einen Felsvorsprung. Als er aufblickte, verdeckte eine hoch gewachsene Gestalt die Sonne. Torak blinzelte und sah in ein dunkles Gesicht unter einem hellen Haarschopf. In einer Hand hielt die Gestalt ein Messer, in der anderen ein Seil, das in der Schlinge um seinen Knöchel endete.
»Hab ihn«, rief der Junge jemand Unsichtbarem zu, dann wandte er sich an Torak: »Rühr dich nicht, sonst bereust du es.« Er sprach ganz sachlich, ohne gehässigen Unterton, aber sehr entschieden.
Torak dachte trotzdem nicht daran, sich so einfach zu fügen. Besonders viele Kampftricks kannte er nicht, aber ein paar Ablenkungsmanöver beherrschte er doch. Als der Junge sich vorbeugte und ihm die Hände fesseln wollte, zog Torak sein Messer. Der fremde Junge wandte den Kopf und Torak trat ihn mit voller Wucht vors Schienbein. Sein Gegner stieß einen Schmerzensschrei aus und wälzte sich am Boden.
Blitzschnell schnitt Torak das Seil um seinen Knöchel durch und floh in den Wald. Er rannte geduckt und Haken schlagend durchs Farnkraut, damit man nicht auf ihn zielen konnte.
»Du entkommst uns nicht, Waldjunge!«, hörte er hinter sich jemanden rufen. Es war der Kleine mit der Schleuder, der Asrif hieß.
Nach etwa sechzig Schritt ließ sich Torak unter eine umgestürzte Kiefer fallen und biss sich fest auf die Unterlippe, um sich nicht durch Schnaufen zu verraten. Der Wald war totenstill. Kein anderer Laut lenkte von seiner geräuschvollen Flucht ab.
»Du bist umzingelt«, hörte er von rechts eine andere Jungenstimme rufen. Es war Detlan, der Große.
»Komm lieber raus«, rief der Dritte, der ihn mit der Schlinge eingefangen hatte.
Kommt mich doch holen, entgegnete Torak stumm.
Ein Stein prallte ein Stück über seinem Kopf gegen den Baumstamm.
»Warte nur, bis wir dich kriegen, Waldjunge!«, höhnte Asrif. Offenbar versuchte er gar nicht erst, sich unbemerkt anzupirschen.
»Wie konntest du so was tun?«, rief Detlan.
»Und warum ?«, stimmte der Größte ein.
Warum habe ich was getan?, wunderte sich Torak. Dann erst begriff er ihre Absicht. Sie wollten ihn bloß ablenken, während sie ihn einkreisten.
Er hob den Kopf. Geradeaus fiel der Boden in eine lang gestreckte, zugewucherte Senke ab. Erlen und Weiden wuchsen dort, hellgrünes Moos und weiches weißes Hasenschwanzgras. Wer sich hier auskannte, erriet sofort, dass es sich um einen Sumpfstreifen handelte, aber nach ihren Bemerkungen über Pferde zu urteilen, kannten sich die fremden Jungen im Wald überhaupt nicht aus.
Immer noch geduckt, schlich Torak zum Rand der Senke. Sie war bestimmt zwanzig Schritt lang und fünfzehn breit und dem Geruch nach ziemlich tief. Er konnte sie nicht umgehen, sondern musste sie durchqueren,
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