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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Neben jeder Hütte gab es ein Gestell, woran mehrere Boote aufgebockt waren. Dicht am Wasser hatte man zwei junge Bäume gepflanzt. Ihre Wipfel waren zu einem Bogen zusammengebunden, die schlanken Stämme waren leuchtend rot. Torak wurde mulmig. Welchem Zweck mochte das Gebilde dienen?
    Übers Wasser drang Stimmengewirr und Vogelgeschrei zu ihnen herüber. Torak erschrak, als er sah, dass die Abhänge von Vögeln nur so wimmelten. Tausende von ihnen tummelten und drängten sich auf schmalen Felsvorsprüngen und auch die Hütten der Robbensippe machten einen wackeligen und beengten Eindruck. Wie konnte man bloß hier leben, zusammengepfercht auf einem schmalen Streifen Land zwischen Fels und Meer?
    »Die Robbeninseln«, verkündete Bale mit unüberhörbarem Stolz und lenkte sein Boot neben Detlans.
    »Wie viele Inseln sind es denn?«, fragte Torak, der nur eine einzige sah.
    Bale beäugte ihn argwöhnisch. »Die hier und weiter nördlich noch zwei kleinere. Dort leben der Kormoran- und der Tangclan, aber diese hier, die gehört uns Robben. Es ist die größte von allen, darum verdankt ihr die ganze Inselgruppe ihren Namen. Die größte und beste.«
    Na klar, dachte Torak verdrossen, bei euch Robben ist sowieso alles besser als anderswo.
    Doch als sie näher heranfuhren, vergaß er seinen Ärger. Etwas war seltsam an der Bucht. Das Wasser war dunkelrot… das konnte nicht nur am Sonnenuntergang liegen.
    Ein salzig-süßer Gestank stieg ihm in die Nase, der umso aufdringlicher war, da kein Wind ging. War das etwa…
    Ja.
    Die Robbenbucht war voller Blut.

Kapitel 18

    DAS MÖWENGESCHREI schrillte Torak in den Ohren und der Blutdunst schnürte ihm die Kehle zu.
    Im flachen, rot aufspritzenden Wasser sah er Kinder planschen und Frauen Häute waschen.
    Vor einem hoch auflodernden Feuer bewegten sich schemenhaft Männer und türmten neben dem roten Baumbogen riesige Fleischberge auf. Ihre Arme, Beine, Gesichter – alles war rot beschmiert, wie bei Gestalten aus einem bösen Traum.
    »Da hat jemand einen guten Fang gemacht«, stellte Asrif fest.
    »Den ersten diesen Sommer und wir waren nicht dabei«, meinte Bale bedauernd. Es klang, als sei es Toraks Schuld.
    Da erst begriff Torak, dass das ganze Fleisch von einem einzigen erlegten Tier stammen musste. Er sah eine Schwanzflosse am Boden liegen, länger als ein Boot. Was er für zwei junge rote Bäume gehalten hatte, war ein Walkiefer.
    Das nahm er jedenfalls an, obwohl der Kiefer nicht von einem Jäger stammen konnte, denn statt mit Zähnen war er mit langen, dicken schwarzen Haaren besetzt, die ein Robbenmann soeben mit einem Messer abschnitt. Sein eigenes Haar schnitt er sich auch ab und ließ beides vor seinen Füßen auf ein und denselben Haufen fallen.
    Als Torak aus dem Boot ins seichte, blutige Wasser stieg, fiel ihm auf, wie fröhlich die Menschen waren. Es herrschte überschwängliche Feierstimmung. Ein solcher Fang bedeutete für viele Tage Nahrung.
    Bale sprang aus dem Boot und befahl Torak, sich ja nicht von der Stelle zu rühren. »Nach dem Fest beschließt Islinn, was mit dir geschehen soll.«
    Torak war sich der Blicke der Robben unangenehm bewusst. Bei den Raben hatte er schon nie richtig dazugehört, aber das hier war schlimmer. Dabei waren diese Leute seine Blutsverwandten.
    Er beobachtete, wie Bale seine Bündel losband und einem wettergegerbten Mann zuwarf, der ihm entgegengekommen war. Aus der Ähnlichkeit der beiden schloss Torak, dass es Vater und Sohn waren.
    Detlan brachte sein Boot zu einem der Gestelle, wobei ihn eine freudestrahlende Frau und ein kleines Mädchen, unverkennbar seine Schwester, begleiteten. Die Kleine sprang um ihn herum und bettelte um seine Aufmerksamkeit, was Detlan einerseits peinlich zu sein, ihn andererseits aber auch zu freuen schien.
    Asrifs Boot war noch im Wasser, und er wurde eben von einer zänkischen Frau ausgescholten, die noch kleiner als er selbst war. »Ich hab dir doch gesagt, du sollst zwei Packen Lachshäute mitbringen!«, zeterte sie und stieß ihn mit dem Finger vor die Brust. »Wo hast du den anderen gelassen?«
    »Weiß nicht«, erwiderte Asrif verdrießlich. »Ich erinnere mich genau, dass ich zwei eingeladen habe, und jetzt ist einer weg.«
    Bale sprach mit seinem Vater und deutete dabei auf Torak. Dann lief er das Ufer hoch zum Feuer, wo er einen anderen Mann ansprach.
    Die Dämmerung brach herein, die Robben trafen letzte Vorbereitungen für das Fest und Torak wartete immer noch. Die Wange tat ihm weh

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