Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
hinab, dann schlüpfte er geräuschlos zwischen den Bäumen hindurch, bis der Boden steinig wurde.
Er konnte den Bau zwar nicht sehen, denn der Hauch des Großen Nass hatte ihn verschluckt, aber er konnte ihn riechen. Außerdem hörte er das Weibchen in dem kleinen Bau im Berg auf und ab tappen. Sie war wütend, ängstlich und besorgt, und der junge Hellfell knurrte sie an, warum, wusste Wolf nicht. Von den beiden abgesehen, war der Bau leer.
Es war sogar verdächtig still. Wolf roch die Lemminge, die reglos in ihren unterirdischen Gängen verharrten, hörte die Fischvögel auf den Uferfelsen die Schnäbel unter die Flügel stecken. Alles wartete. Wagte sich nicht zu rühren.
Wolf hob die Schnauze. Er witterte viele Fische und die Duftspuren vieler Schwanzlosen, er witterte die dicken, freundlichen Fischhunde, die im Großen Nass leben und manchmal auf den Klippen liegen. Und er witterte noch etwas anderes – Dämonengestank!
Als er weiterschlich, wurde der Gestank so aufdringlich, dass sich ihm das Fell sträubte. Als Welpe hatte ihn dieser Geruch geängstigt, jetzt jedoch weckte er eine seltsame Begierde, die stärker als jede Jagdlust war, sogar stärker als der Ruf des Berges…
Aber wo war Groß Schwanzlos? Unter den vielen Gerüchen, die sich in der windstillen Luft mischten, konnte Wolf den einen ersehnten Geruch nicht entdecken.
Inzwischen knurrten alle beide, das Weibchen und der junge Hellfell, und als Wolf hinlief, sah er, dass der Hellfell dem Weibchen Fleisch brachte – aber das Fleisch stank nach Dämon!
Wolf spürte, dass Weibchen Schwanzlos hungrig war und fressen wollte. Er musste sie aufhalten! Und wenn sie wie Groß Schwanzlos seine Warnung missachtete? Wenn sie gar nicht verstand, was er wollte?
Wolf schlich geduckt weiter, setzte behutsam eine Pfote vor die andere. Er hatte eine Eingebung. Eines verstand das Weibchen immer.
Wenn er knurrte.
»Ich habe keinen Hunger«, fauchte Renn, als der Robbenjunge die Schüssel auf den Boden stellte. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich nicht krank bin! «
»Nun iss schon«, erwiderte der Junge. Er ging rückwärts aus der Höhle, ließ die Robbenfelle wieder vor den Eingang fallen und nur einen handbreiten Spalt offen, damit Luft hereinkam.
Renn konnte ihn zwar nicht leiden, aber ihr war trotzdem mulmig geworden, als er weggegangen war. Die Höhle war ihr unheimlich. Man spürte, wie sich hier vor drei Sommern die Kranken gequält hatten, ihre Verzweiflung lag immer noch in der muffigen Luft.
Aber du bist nicht krank, ermahnte sie sich. Du bist bloß müde und hungrig und sorgst dich um Torak.
Sie beschloss, noch einen Versuch zu unternehmen. »Weißt du eigentlich, warum euch der Jäger angegriffen hat?«, rief sie dem Robbenjungen zu.
Stille.
»Weil euer Schamane sein Junges getötet hat. Ich habe den Kadaver gefunden. Er hat das Junge in einem Robbennetz gefangen, in so einem, wie sie nur eure Sippe knüpft, und hat ihm bloß die Zähne herausgeschnitten. Würde ein anständiger Mann so etwas tun?«
Keine Antwort.
Renn ballte die Fäuste. »Ich weiß genau, dass er es war. Ich habe seinen Gürtel klimpern gehört, als er über den See gerudert ist.«
Immer noch keine Antwort, aber Renn spürte, dass der Junge zuhörte. Sie hörte ihn draußen vor dem Eingang atmen.
»Die Zähne von einem Jäger«, fuhr sie fort. »Nur ein Schamane kann so etwas gebrauchen.« Sie machte eine Pause. »Wenn ich Recht habe und er an der Krankheit schuld ist… dann hat er auch deinen Bruder umgebracht.«
Betroffenes Schweigen. »Woher weißt du das mit meinem Bruder?«
»Ach, ich weiß so manches. Er hat deinen Bruder umgebracht«, wiederholte sie. »Ich weiß, wie das ist. Es ist noch nicht lange her, da habe ich meinen eigenen verloren.«
»Sei still«, befahl der Robbenjunge.
»Weißt du noch, wie Tenris, kurz bevor dein Bruder krank wurde, auf die Klippe gestiegen ist? Er hat da oben einen Zauber gewirkt.«
»Na und? Schließlich ist er Schamane.«
»Er hat einen Zauber gewirkt und dann ist dein Bruder krank geworden.«
Es war nur eine Vermutung, aber es klappte. Sie hörte den Jungen nach Luft schnappen.
»Es war ein Jagdzauber«, widersprach er leise. »Ein Zauber, damit das Wild…«
»Tja, das behauptet er !«
Sie hörte den Sand unter seinen Tritten knirschen. »Halt endlich den Mund«, sagte er schroff, aber es klang unsicher.
»Du weißt trotzdem, dass es stimmt.«
»Du sollst den Mund halten!« , brüllte der
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