Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
Junge.
»Dann glaub mir gefälligst« , brüllte Renn zurück.
Der Junge versetzte den Fellen vor dem Eingang einen Fausthieb.
Danach schwiegen sie beide.
Fleischgeruch erfüllte die Höhle. Nach kurzem Zögern hob Renn die Schüssel auf. Geräuchertes Walfleisch mit Wacholderbeeren. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, aber wenn sie etwas aß, würde der Robbenjunge annehmen, dass sie klein beigab. Sie stellte die Schüssel wieder hin und stapfte ein Weilchen auf und ab. Schließlich erlag sie der Versuchung doch.
Sie wollte eben von dem Fleisch kosten, als sie den Robbenjungen aufschreien hörte und Wolf durch den Spalt in der Barrikade geschlüpft kam. Er sprang sie an und warf sie um, sodass der Inhalt der Schüssel an die Höhlenwand klatschte. Er knurrte und fletschte die Zähne. Renn wollte ihm etwas zurufen, aber er stand auf ihrer Brust und war so schwer, dass sie kaum Luft bekam. Was hatte er bloß?
»He, Wolf«, japste sie, »ich bin’s doch!«
»Ich komme!«, rief der Robbenjunge, riss die Felle vom Eingang und stürzte mit gezückter Harpune herein.
Wolf ließ sofort von Renn ab und fuhr herum.
»Nein!« , schrie Renn gellend. »Tu ihm nichts! Er muss krank sein … oder … oder irgendwas!«
Der Robbenjunge achtete nicht auf sie und stach nach Wolf.
Wolf sprang beiseite und schnappte nach dem Harpunenschaft.
Jetzt hätte Renn fliehen können – der Weg war frei –, aber was wurde dann aus Wolf?
Wolf wich der Harpune mühelos aus.
Renn gab sich einen Ruck und rannte ins Freie.
Im Laufen hörte sie den Robbenjungen noch einmal aufschreien, aber diesmal eher vor Empörung als vor Schmerz, und als sie sich umdrehte, sah sie Wolf aus der Höhle springen und davonstürmen.
Ohne recht zu wissen, was sie tat, änderte sie die Richtung und rannte hinterher.
In der Zwischenzeit war der Nebel noch dichter geworden. Renn fand sich überhaupt nicht mehr zurecht und hatte keinen blassen Schimmer, wo sie Torak suchen sollte.
Sie stolperte über einen Holzstapel und lief gegen ein Räuchergestell mit Walfleisch. Vor ihr zeichnete sich undeutlich eine Hütte ab, und sie schlug die Hand vor den Mund, um einen Schreckensschrei zu unterdrücken. Jeden Augenblick konnte der Robbenjunge über sie herfallen … oder das Tokoroth … oder der Seelenesser.
Plötzlich sah sie weiter nördlich Flammen auflodern.
Sie blieb stehen.
Torak hatte gesagt, die Zeremonie, um den Heiltrank zu brauen, würde auf einer hohen Klippe abgehalten. Allerdings war dieser »Trank« vermutlich nur ein Vorwand des Seelenessers.
Trotzdem lief sie in Richtung des Feuers.
Sie hörte hinter sich ein Geräusch und duckte sich. Zu spät. Jemand packte sie am Arm und hielt sie fest.
Tenris, der stets freundliche Robbenschamane, war nicht mehr wiederzuerkennen. Er hatte die Maske fallen lassen und zeigte endlich sein wahres Gesicht.
Der Seelenesser hockte neben dem niedrigen Steinaltar, murmelte Zaubersprüche und malte Torak Zeichen auf die Brust. Als Pinsel benutzte er den Beinknochen eines Seeadlers, an den ein Büschel Robbenbarthaare gebunden war, als Farbe eine schwarze, übel riechende, zähe Flüssigkeit. Torak mutmaßte, dass es sich dabei um das Blut des getöteten Jägers handelte und bei den hellen, kegelförmigen Gegenständen rund um den Altar um dessen Zähne.
Er spürte Klauen an seinen Knöcheln kratzen. Der Tokorothjunge zog die Fesseln endgültig stramm. Torak trat wieder um sich, denn die Riemen im richtigen Augenblick abzustreifen, war seine einzige Hoffnung.
»Halt still«, schnauzte Tenris ihn an. Er kaute irgendein stinkendes Zeug, wovon sich sein Augenweiß gelb und seine Zunge schwarz gefärbt hatte. Er sah gar nicht mehr wie ein Mensch aus.
Torak sah aus dem Augenwinkel etwas vorbeihuschen.
Da drüben … hinter dem Treibholzstapel, den das Tokorothmädchen aufgeschichtet hatte und jetzt mit Robbentran übergoss … Wolf!
Torak stockte das Herz. Drei gegen einen. Wenn Wolf ihm helfen wollte, würde er dabei umkommen.
»Wuff!«, machte Torak warnend. »Wuff, wuff!«
Wolf spitzte die Ohren, ergriff aber keineswegs die Flucht. Er hatte eine Stelle ausfindig gemacht, wo das Tokorothmädchen noch nicht ganz fertig und der Stapel etwas niedriger war. Allerdings fiel die Klippe direkt daneben steil ab.
Geh weg! , flehte Torak stumm. Du kannst mir nicht helfen!
Zum Glück hatten Tenris und die beiden Tokoroth Wolf noch nicht entdeckt. Alle drei beobachteten den Gefangenen argwöhnisch.
»Was
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