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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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seinen Durst, dann wankte er zur Hütte zurück. Er sehnte sich nach Schlaf, aber er wusste, dass er sich zuerst um seinen Arm kümmern musste, wenn er am Leben bleiben wollte.
    Er nahm etwas trockene Weidenrinde aus seinem Medizinbeutel und zerkaute sie, obwohl er von dem bitteren Geschmack würgen musste. Mit dem körnigen Brei schmierte er seinen Arm ein und verband ihn dann wieder mit Birkenbast. Es tat so weh, dass er beinahe ohnmächtig geworden wäre. Mit großer Mühe gelang es ihm, die Stiefel auszuziehen und in den Schlafsack zu kriechen. Auch der Welpe wollte sich hineindrängeln, aber Torak stieß ihn weg.
    Benommen und mit klappernden Zähnen sah er zu, wie das Wolfsjunge zum Feuer hinübertappte und es neugierig betrachtete. Es streckte die große graue Pfote aus, schlug nach den Flammen und sprang mit empörtem Aufjaulen zurück.
    »Geschieht dir recht«, murmelte Torak.
    Der kleine Wolf schüttelte sich und verschwand in der Dunkelheit.
    Torak rollte sich zusammen, hielt sich den pochenden Arm und dachte verbittert, dass er offenbar nichts richtig machen konnte.
    Er hatte sein ganzes Leben mit Fa im Wald zugebracht, sie hatten für ein, zwei Nächte ihr Lager aufgeschlagen, dann waren sie weitergezogen. Er wusste sehr wohl, wie man vorzugehen hatte. Gib dir mit deiner Hütte Mühe. Verausgabe dich beim Nahrungsammeln nicht unnötig. Hör rechtzeitig damit auf und richte dich für die Nacht ein.
    Er war erst einen Tag auf sich selbst gestellt und hatte schon alle guten Ratschläge in den Wind geschlagen. Das machte ihm Angst. Ebenso gut hätte er vergessen können, wie man läuft.
    Mit der gesunden Hand berührte er seine Clantätowierung, fuhr mit dem Finger die beiden dünnen, punktierten Linien auf jedem Wangenknochen nach. Als er sieben war, hatte Fa sie ihm eingeritzt und Bärentraubensaft in die winzigen Wunden gerieben. Du verdienst sie nicht, schalt sich Torak. Wenn du jetzt stirbst, bist du selber schuld.
    Wieder schnürte ihm der Kummer die Kehle zu. Er hatte noch nie allein geschlafen. Immer hatte Fa neben ihm gelegen. Zum ersten Mal streichelte ihn keine raue Hand, fehlte der vertraute Geruch nach Schweiß und Leder.
    Toraks Augen brannten. Er kniff sie zu und verlor sich in schlimmen Träumen.
    Er stapft auf der Flucht vor dem Bären durch knietiefes Moos, die Schreie seines Vaters im Ohr. Der Bär kommt ihn holen.
    Er will rennen, sinkt aber nur noch tiefer ein. Das Moos zieht ihn nieder. Sein Vater schreit.
    In den Bärenaugen brennt das tödliche Feuer der Anderen Welt… das Dämonenfeuer. Der Bär stellt sich auf die Hinterbeine, ragt drohend wie ein Berg über ihm auf. Er reißt den klaffenden Rachen auf und brüllt seinen Hass zum Mond empor…
    Torak fuhr mit einem Schrei in die Höhe.
    Das Gebrüll des Bären hallte noch zwischen den Bäumen. Das war kein Traum gewesen!
    Torak stockte der Atem. Zwischen den Zweigen seiner Hütte sah er bläuliches Mondlicht schimmern. Er sah, dass das Feuer fast erloschen war, und spürte sein Herz wie rasend pochen.
    Wieder bebte der Wald. Die Bäume lauschten gespannt. Doch jetzt merkte Torak, dass das Gebrüll von weit weg kam, viele Tagesmärsche nach Westen. Erleichtert atmete er wieder aus.
    Im Eingang der Hütte hockte der kleine Wolf und betrachtete ihn mit eigenartig dunkelgoldenen Schlitzaugen. Bernstein, dachte Torak, und ihm fiel das kleine Robbenamulett ein, das Fa an einem Lederriemen um den Hals getragen hatte.
    Seltsamerweise tröstete ihn das. Wenigstens war er nicht ganz allein.
    Als sich sein Puls wieder beruhigt hatte, kehrte der Wundschmerz mit solcher Macht zurück, dass er zu verbrennen fürchtete. Sein Kopf drohte zu platzen. Er kramte noch mehr Weidenrinde aus dem Medizinbeutel, aber sie fiel ihm aus der Hand und er konnte sie im Dämmerlicht nicht wiederfinden. Er legte noch einen Ast in die Glut, dann sank er keuchend zurück.
    Immer noch klang ihm das Gebrüll in den Ohren. Wo war der Bär jetzt? Die Lichtung mit den toten Pferden lag nördlich des Flusses, an dem Fa angegriffen worden war, aber inzwischen hatte sich der Bär offenbar nach Westen gewandt. Würde er diese Richtung beibehalten? Oder hatte er Toraks Fährte aufgenommen und war umgekehrt? Wann würde er hier auftauchen und über ihn herfallen, krank und wehrlos, wie er war?
    Seine innere Stimme sagte so gelassen, als spräche Fa zu ihm: Der Welpe würde dich rechtzeitig warnen. Du weißt doch, Torak, Wölfe haben eine so feine Nase, dass sie sogar den Atem

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