Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
der Fische wittern, und sie haben so gute Ohren, dass sie die Wolken ziehen hören.
Ja, dachte Torak, der Welpe würde mich warnen. Immerhin. Ich will dem Bären wie ein Mann entgegentreten und mit offenen Augen sterben. So wie Fa.
Von fern hörte er einen Hund bellen. Keinen Wolf, sondern einen Hund.
Er runzelte die Stirn. Wo es Hunde gab, waren auch Menschen, und in diesem Teil des Waldes gab es keine anderen Menschen.
Oder doch?
Er sank wieder in die Dunkelheit, in die Klauen des Bären.
Kapitel 5
ALS ER WIEDER aufwachte, was es schon fast dunkel. Er hatte den ganzen Tag geschlafen.
Er war immer noch schwach und hatte quälenden Durst, aber sein Arm fühlte sich nicht mehr so heiß an und die Wunde sah auch besser aus. Das Fieber war weg.
Der Welpe auch.
Torak ertappte sich dabei, dass er sich Sorgen machte. Weshalb? Der Welpe bedeutete ihm nichts.
Er wankte ans Ufer und trank, dann legte er neues Holz auf die fast erloschene Glut. Beides strengte ihn so an, dass er zitterte. Er setzte sich hin und aß die letzte Kümmelknolle und ein paar Wiesenampferblätter, die er am Fluss gepflückt hatte. Sie schmeckten lederig und furchtbar sauer, aber danach fühlte er sich besser.
Der Welpe war immer noch nicht zurück.
Torak überlegte, ob er ihn mit einem Heulen herbeirufen sollte, aber dann würde ihn der Kleine bloß um Futter anbetteln. Außerdem lockte er damit vielleicht den Bären her. Deshalb ließ er es bleiben, zog die Stiefel an und ging nach seinen Fallen sehen.
Die Angelhaken waren leer bis auf ein säuberlich abgenagtes, kleines Fischskelett. Mit den Schlingen hatte er mehr Glück. In einer zappelte ein Auerhuhn. Fleisch.
Torak bedankte sich eilig beim Geist des Huhns, dann drehte er dem Vogel den Hals um, schlitzte ihm den Bauch auf und schlang die warme Leber roh hinunter. Sie schmeckte schleimig und bitter, aber er war so ausgehungert, dass es ihn nicht störte.
Er steckte das Huhn in seinen Gürtel und ging mit schon etwas festeren Schritten weiter, um nach der Schlagfalle zu schauen.
Zu seiner Erleichterung lag kein Wolfsjunges unter dem Felsbrocken. Der Kleine kauerte neben seiner toten Mutter und stupste den stinkenden Kadaver mit der Pfote an. Als er Torak sah, lief er ihm ein Stück entgegen, drehte sich dann wieder nach der Wölfin um und winselte empört. Offenbar sollte Torak seine Welt wieder in Ordnung bringen.
Torak seufzte. Wie sollte er dem Welpen erklären, was Tod bedeutete, wenn er es selbst nicht begriff?
»Komm«, sagte er, ohne sich die Mühe zu machen, Wolfssprache zu benutzen.
Der Welpe drehte die großen Ohren in seine Richtung.
»Hier ist nichts«, sagte Torak ungeduldig, »komm endlich.«
Als sie wieder im Lager waren, rupfte er das Huhn, spießte es auf einen Ast und hielt es übers Feuer. Der Welpe machte einen Satz und wollte danach schnappen.
Torak packte ihn wieder und stieß ihn mit der Schnauze energisch auf die Erde. Nein! , knurrte er. Das ist meins!
Der Welpe hielt unterwürfig still und klopfte mit dem Schwanz auf den Boden. Als Torak ihn losließ, wälzte er sich auf den Rücken, kehrte dem Jungen den hellen, flaumigen Bauch zu und bat mit stummem Grinsen um Verzeihung. Dann tapste er mit gesenktem Kopf davon und begab sich in sichere Entfernung.
Torak nickte zufrieden. Der Kleine musste begreifen, dass er hier der Leitwolf war, sonst gab es später bloß andauernd Ärger.
Wieso später?, dachte er finster. Er hatte nicht vor, den Rest seines Lebens mit dem Welpen zu verbringen.
Der Duft von brutzelndem Fleisch brachte ihn auf andere Gedanken. Fett tropfte zischend in die Flammen. Torak lief das Wasser im Mund zusammen. Rasch riss er dem Huhn ein Bein aus und steckte es als Opfer für seinen Clanhüter in die Astgabel einer Birke, dann setzte er sich und aß.
Noch nie hatte ihm etwas so gut geschmeckt. Er nagte die knusprige, salzige Haut bis aufs letzte Fetzchen ab und lutschte Fleischfasern und Fett von den Knochen, bis sie blank und weiß waren. Dabei zwang er sich, die großen Bernsteinaugen zu ignorieren, die jeden Bissen verfolgten.
Als er fertig war, wischte er sich mit dem Handrücken den Mund. Der Welpe ließ ihn nicht aus den Augen.
Torak seufzte resigniert. »Ist ja gut«, brummte er, riss dem Huhn das andere Bein aus und warf es dem Welpen hin.
Der verschlang es mit einem Haps. Dann sah er den Jungen auffordernd an.
»Mehr hab ich nicht«, sagte Torak.
Der Welpe jaulte ungeduldig und blickte auf das Gerippe in seiner
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