Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
riechen. Schafgarbenblätter? Schon besser. Ihr strenger, nussiger Duft müsste eigentlich ausreichen, um seinen eigenen Schweißgeruch zu kaschieren.
Am Fuß einer Buche entdeckte er einen Haufen Vielfraßkot, einen mit Haaren durchsetzten Kringel, der so übel roch, dass ihm die Augen tränten. Das war noch besser. Obwohl er würgen musste, beschmierte er sich mit dem stinkenden Brei Füße, Unterschenkel und Hände. Ein Vielfraß ist nicht größer als ein Dachs, aber er geht auf alles los, was ihm in die Quere kommt, und bleibt meistens Sieger. Die Hunde gingen einer Begegnung mit ihm bestimmt aus dem Weg.
Das Hörnertuten brach jäh ab.
Die plötzliche Stille rauschte ihm in den Ohren. Er erschrak, als er merkte, dass auch Wolfs Jaulen verstummt war. War ihm etwas zugestoßen? Die Raben würden es nicht wagen, ihm etwas anzutun. Oder doch?
Torak bahnte sich einen Weg durchs Unterholz. Zum Lager hin stieg der Boden an und der Fluss strömte eilig zwischen großen, mit glitschigen Moospolstern bewachsenen Felsbrocken dahin.
Weiter vorn stieg eine Rauchsäule in den düsteren grauen Himmel. Das Lager konnte nicht mehr weit sein. Geduckt lauschte er, ob durch das Wasserrauschen irgendetwas von seinen Verfolgern zu hören war. Bei jedem Atemzug erwartete er, das Schnalzen einer Bogensehne zu hören und zu spüren, wie sich ihm ein Pfeil zwischen die Schulterblätter bohrte.
Nichts. Vielleicht waren sie auf seine List hereingefallen und liefen immer noch nach Norden.
Zwischen den Bäumen erspähte er etwas Hohes, Gewölbtes. Er blieb abrupt stehen. Er ahnte, worum es sich handelte, und hoffte, dass er sich irrte.
Der Hügel hockte wie eine riesige, kauernde Kröte vor ihm. Er überragte Torak um Haupteslänge und war von Moos und Blaubeergestrüpp überwuchert. Dahinter erhoben sich zwei kleinere Hügel und alle drei waren von einem Dickicht aus Eiben und efeuumrankten Stecheichen umgeben.
Torak war unschlüssig. Er war einmal mit Fa an solchen Hügeln vorbeigekommen. Das musste die Knochenstätte sein, der Ort, an dem der Rabenclan seine Toten bestattete.
Der Weg zum Lager – und zu Wolf – führte mitten hindurch. Sollte er es wirklich wagen? Er gehörte nicht zum Rabenclan. Wenn er die Schädelstätte einer fremden Sippe betrat, wurden deren Ahnen bestimmt zornig …
Nebelschwaden lagerten in den Senken zwischen den Hügeln, wo die bleichen Gerippe mannshoher Schierlingsdolden aufragten und die flaumigen Samen verwelkter Weidenröschen geisterhaft dahintrieben. Und überall standen dunkle Bäume von jener Art, die den ganzen Winter über grün bleibt und niemals schläft. Sie lauschten.
Im Geäst der höchsten Eibe hockten drei Raben und beobachteten ihn. Welcher von ihnen wohl der Clanhüter war?
Wieder erscholl wütendes Gekläff.
Jetzt hatten sie ihn. Der schlaue Fin-Kedinn hatte seine Schlingen ausgelegt und jetzt zogen sie sich um das gejagte Wild zu.
Torak hatte keine Wahl. In den Stromschnellen würde er ertrinken, und wenn er auf einen Baum kletterte, würden ihn die Vögel verraten, und man würde ihn herunterschießen wie ein Eichhörnchen. Und wenn er sich im Unterholz versteckte, würden ihn die Hunde wie ein Wiesel herauszerren.
Er wandte sich nach seinen Verfolgern um. Er hatte nichts, womit er sich verteidigen konnte, nicht einmal einen Stein.
Er ging langsam rückwärts… und geradewegs in den höchsten Hügel hinein. Er unterdrückte einen Aufschrei. Jetzt saß er zwischen den Lebenden und den Toten in der Falle.
Da packte ihn etwas von hinten am Wams und zog ihn in die Finsternis.
Kapitel 13
»RÜHR DICH NICHT«, raunte ihm jemand ins Ohr. »Halt den Mund und fass bloß die Knochen nicht an!«
Torak sah keine Knochen, er sah gar nichts. Er kauerte in faulig riechender Finsternis und hatte ein Messer an der Kehle.
Er biss die Zähne zusammen, damit sie nicht aufeinander schlugen. Ringsum spürte er das feuchte Gewicht von Erde und die modernden Knochen der Ahnen des Rabenclans. Er hoffte inständig, dass sich ihre Seelen ausnahmslos weit weg auf der Todesreise befanden. Aber wenn nun eine zurückgeblieben war?
Er musste hier raus. Noch im ersten Schreck darüber, erwischt worden zu sein, hatte er Stein auf Stein scharren gehört, als hätte der Unbekannte, der ihn gepackt hatte, den Grabhügel verschlossen. Inzwischen hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt und er erspähte einen schwachen Lichtschein. Wenn jemand etwas vor den Eingang geschoben hatte,
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