Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
Glück war er mit dem Wind gelaufen, aber ihm rann der Schweiß nur so herunter, außerdem hatte er immer noch seine lederne Fußfessel in der Hand. Die Hunde würden keine Mühe haben, seine Witterung aufzunehmen. Er war unschlüssig, ob er den Riemen wegwerfen oder ihn für den Fall, dass er ihn noch brauchen konnte, behalten sollte.
Seine Gedanken drehten sich wie Wasserstrudel. Er besaß weder Stiefel noch Vorräte noch Waffen – und keinerlei Werkzeug, um sich irgendetwas davon wiederzubeschaffen. Er war ganz auf seinen Verstand und seine Geschicklichkeit angewiesen. Was sollte er überhaupt tun, wenn ihm die Flucht gelang?
Plötzlich wurden die Rufhörner von lautem Jaulen übertönt. Wo bist du?
Toraks Zweifel waren wie weggeblasen. Er durfte Wolf nicht zurücklassen. Er musste ihn befreien.
Ich komme! , hätte er am liebsten zurückgeheult, keine Angst, ich hab dich nicht vergessen, aber das durfte er jetzt natürlich nicht. Das Jaulen hörte nicht auf.
Seine Füße waren fast erfroren. Er musste wieder ans Ufer, sonst würde er nicht mehr richtig laufen können. Er überlegte rasch.
Die Raben nahmen bestimmt an, dass er nach Norden lief, denn als man ihn aufgriff, hatte er gesagt, er sei dorthin unterwegs. Er beschloss, die Verfolger irrezuführen und genau diese Richtung einzuschlagen, jedenfalls eine Weile, um später umzukehren, zum Lager zurückzulaufen und zu versuchen, Wolf zu befreien.
Ein Stück flussabwärts knackte ein Ast.
Torak fuhr herum.
Ein leises Platschen, ein gedämpfter Fluch.
Er lugte durch die Schilfhalme.
Etwa fünfzig Schritt flussabwärts schlichen zwei Männer am Ufer entlang auf den Schilfgürtel zu. Sie bewegten sich vorsichtig und waren ganz offensichtlich auf der Suche nach ihm. Der Bogen des einen war größer als Torak und er hatte den Pfeil schon auf die Sehne gelegt, der andere trug eine Wurfaxt mit Basaltschneide.
Sich im Schilf zu verstecken, war ein Fehler gewesen. Wenn er blieb, wo er war, würde man ihn finden, wenn er versuchte, durch den Fluss zu schwimmen, würde man ihn sehen und wie einen Hecht aufspießen. Er musste in den schützenden Wald zurück.
So leise er konnte, kletterte er die Uferböschung hinauf. Das dichte Weidengestrüpp bot guten Sichtschutz, aber der Abhang war ziemlich steil. Der rote Lehmboden gab unter seinen Füßen nach. Wenn er ausrutschte und in den Fluss fiel, würde man das Aufklatschen hören …
Als er die Finger in die Erde bohrte, kullerten kleine Steinchen ins Wasser. Zum Glück übertönten die Rindenhörner das leise Geräusch und seine beiden Verfolger merkten nichts.
Schwer atmend erreichte er ebenen Boden. Jetzt auf nach Norden! Der Himmel war bewölkt, sodass er sich nicht an der Sonne orientieren konnte, aber da der Fluss nach Westen strömte, musste er, wenn er nach Norden wollte, nur darauf achten, dass er ihn immer mehr oder weniger im Rücken hatte.
Er zwängte sich durch das Dickicht aus Espen und Buchen und schleifte dabei den Lederriemen immer hinter sich her, um es den Hunden leicht zu machen, seine Spur zu verfolgen.
Hinter sich hörte er wütendes Gebell. Es klang beängstigend nah. Er hätte mit dem Spurenlegen noch warten sollen. Die Hunde hatten seine Witterung bereits aufgenommen.
In panischer Angst kletterte er auf den nächstbesten Baum, eine hohe, schlanke Espe, knüllte den Lederriemen zu einer Kugel und warf ihn, so weit er konnte, in Richtung Flussufer, als auch schon ein stämmiger Hund mit rötlichem Fell durchs Brombeergestrüpp brach.
Unter Toraks Baum zögerte er. Geifer tropfte ihm von den Lefzen. Dann witterte er das Leder und sauste davon.
»Da!«, rief jemand vom Fluss her. »Er hat die Spur gefunden!«
Drei Männer liefen keuchend an der Espe vorbei und versuchten, den Hund einzuholen. Torak klammerte sich an den Baumstamm. Wenn einer von ihnen zufällig aufblickte …
Aber sie rannten weiter, bis sie außer Sicht waren. Kurz darauf hörte Torak es leise platschen. Wahrscheinlich suchten sie den Schilfstreifen ab.
Vorsichtshalber blieb er noch eine Weile auf dem Baum sitzen, dann sprang er herunter.
Er lief in nördlicher Richtung durch das Espengehölz, bis er weit genug vom Fluss entfernt war, dann blieb er stehen. Jetzt konnte er nach Osten abbiegen und sich zum Lager wenden, das hieß, wenn es ihm gelang, die Hunde zu täuschen.
Hastig sah er sich nach etwas um, womit er seinen Geruch überdecken konnte. Hirschlosung? Unbrauchbar, die Hunde würden ihn trotzdem
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