Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
ausgestoßen, die Torak vielleicht verstanden hätte, die sie dagegen einfach nur beunruhigend fand.
Dann waren die Finken als zwitschernde Wolke auf und davon geflattert und Renn hatte den Blick den Hügel hinunterwandern lassen. Eine Lücke im Nebel bot ihr klarere Sicht. Sie sah den Bach an einer Gruppe Rottannen vorbeieilen und daneben einen großen dunklen Felsen. Dann bewegte sich der Felsen.
Gelähmt vor Entsetzen, beobachtete sie, wie sich der Bär auf die Hinterbeine stellte und dabei die Tannen überragte. Der gewaltige Kopf schwenkte herum, die Schnauze schnüffelte im Wind. Er nahm ihre Witterung auf und ließ sich auf alle viere fallen.
Da war sie zur Höhle gerannt und hatte Torak eine Warnung zugerufen … aber Echos waren die einzige Antwort geblieben.
Jetzt da der Nebel wieder dichter wurde und sie die Pfeile mühsam zusammensuchte, stellte sie sich vor, wie der Bär den Abhang heraufkam. Sie wusste, wie schnell sich Bären bewegen konnten. Er musste jeden Augenblick hier sein.
Die Felswand war zu steil zum Hinaufklettern, abgesehen davon konnte sie Wolf nicht zurücklassen. So blieb ihr nur die Höhle, obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte. Da drinnen würden sie wie Hasen in der Falle sitzen und nie wieder herauskommen.
Wolfs energisches Zerren an der Leine brachte sie wieder zu sich. Er zog sie zur Höhle… und mit einem Mal wusste sie, dass er Recht hatte. Dort war Torak. Sie mussten sich der Gefahr gemeinsam stellen.
Sie stürzte hinein und zerrte die Tragen und Schlafsäcke hinter sich her. In der jähen Dunkelheit konnte sie nichts sehen, prallte gegen die Felswand und schlug sich den Kopf an. Nach hastiger Erkundung fand sie heraus, dass sich die Höhle bald zu einem Spalt verengte. Wolf war bereits darin verschwunden und wollte sie hinter sich herziehen. Sie drehte sich zur Seite, schob sich hindurch – rasch, rasch –, ließ sich dann auf die Knie fallen und zog die Ausrüstung hinterher.
Als die Tragen, die Bogen und der Köcher neben ihr lagen, spürte sie einen Anflug von Hoffnung. Der Spalt war zu eng für den Bären. Vielleicht konnten sie hier drin abwarten, bis …
Der Wassersack wurde ihr mit solcher Gewalt aus der Hand gerissen, dass sie wieder gegen den Felsen geschleudert wurde und ihr ein heftiger Schmerz durch die Schulter schoss. Benommen drückte sie sich in eine enge Nische und zog Wolf mit.
So schnell kann der Bär doch gar nicht hereingekommen sein, dachte sie wie betäubt vor Angst.
Ein tiefes Knurren hallte durch die Höhle. Sie bekam eine Gänsehaut.
Er passt nicht durch den Spalt, redete sie sich gut zu. Bleib ruhig. Bleib ganz, ganz ruhig.
Aus der Tiefe der Höhle drang ein Schrei: »Renn!«
Rief Torak um Hilfe, oder kam er angelaufen, um ihr beizustehen? Sie wusste es nicht. Sie konnte ihm auch nicht antworten. Konnte nichts anderes tun, als sich mit Wolf in die Nische zu drücken, denn sie war zu dicht an der Öffnung, höchstens zwei Schritt davon entfernt, aber nicht in der Lage, sich wegzubewegen. Irgendeine Macht hielt sie davon ab. Sie konnte die Augen nicht von dem schmalen Streifen Tageslicht wenden.
Das Licht wurde schwarz.
Obwohl sie wusste, dass sie genau das Falsche tat, beugte sich Renn vor und spähte durch den Spalt. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Ein albtraumhafter, flüchtiger Blick auf dunkles Fell, das in einem nicht wahrnehmbaren Wind wehte, das Aufblitzen grausamer, langer Klauen, an denen schwarzes Blut glitzerte.
Gebrüll erschütterte die Höhle. Stöhnend presste Renn die Fäuste auf die Ohren, doch das Gebrüll schüttelte sie und hörte nicht auf, bis sie glaubte, ihr Schädel müsste platzen…
Stille. Genauso schrecklich wie das Gebrüll. Als sie die Fäuste von den Ohren nahm, hörte sie irgendwo Staub rieseln, dazu Wolfs leises Hecheln, sonst nichts.
Langsam und widerstrebend kroch sie zum Spalt und zog den sich sträubenden Welpen mit.
Jetzt sah sie wieder Tageslicht. Grauen Fels. Die Eibe mit den darunter verstreuten Beeren. Keinen Bären.
Ein durchdringendes Knurren, so nah, dass sie deutlich das feuchte Schmatzen eines Mauls vernahm und dumpfen Blutdunst roch. Dann erlosch das Licht wieder und ein Auge bohrte sich in ihres. Schwärzer als Basalt und doch lodernd vor innerem Feuer, zog es sie an – es wollte sie haben .
Sie beugte sich vor.
Wolf riss sie zurück, brach den Bann im letzten Moment, sodass sie sich zur Seite werfen und den tödlichen Klauen ausweichen konnte, die dort, wo sie eben
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