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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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zielte mit ihrem letzten Pfeil auf das Scheusal, das hoch vor ihr aufragte.
    Einen Herzschlag lang fühlte sich Torak zu Fa zurückversetzt, in jene Nacht, als sie angegriffen wurden, als sie von der Bosheit der dämonischen Augen wie gelähmt gewesen waren …
    »Nein!«, schrie er.
    Renn ließ den Pfeil los. Der Bär schlug ihn mit einem flinken Tatzenhieb zu Seite. Doch als er sich anschickte, sein tödliches Werk zu vollenden, sprang Wolf aus dem Schatten, stürzte sich jedoch nicht auf den Bären, sondern auf Renn.
    Mit seinen kräftigen Kiefern riss er ihr den Rabenhautbeutel vom Gürtel, warf das Mädchen dabei zu Boden, sodass die Bärenklauen sie nicht trafen, und schoss wie ein Blitz aus der Höhle.
    »Wolf!«, rief Torak und wollte ihm nachlaufen.
    Mit dem Beutel im Maul verschwand der junge Wolf im Nebel. Der Bär wirbelte mit erschreckender Gewandtheit herum und setzte ihm nach.
    » Wolf! «, rief Torak noch einmal.
    Der Nebel verschluckte die beiden Tiere, der leere Berghang schien Torak zu verhöhnen. Der Bär war fort. Und Wolf auch.

Kapitel 21

    WO BIST DU? Toraks verzweifeltes Aufheulen hallte von den Felsen wider.
    Wo bist du? , heulte das Echo der Berge.
    Der alte Schmerz in seiner Brust meldete sich wieder. Erst Fa, jetzt Wolf. Bitte nicht Wolf…
    Renn stand blinzelnd am Höhleneingang.
    »Warum hast du ihn von der Leine gelassen?«, schrie er.
    Sie wankte. »Ich musste es tun. Ich musste ihn freilassen.«
    Mit einem Wutschrei fing Torak an, in dem Durcheinander herumzuwühlen.
    »Was machst du da?«, fragte Renn.
    »Ich suche meine Trage. Ich gehe Wolf zurückholen.«
    »Aber es wird bald dunkel.«
    »Sollen wir etwa einfach herumsitzen und warten?«
    »Natürlich nicht! Wir suchen unsere Sachen zusammen, bauen uns eine Hütte und machen Feuer. Dann warten wir. Wir warten, bis Wolf uns wiederfindet.«
    Torak verkniff sich eine gehässige Erwiderung. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Renn zitterte. Auf ihrer einen Wange prangte ein blutiger Kratzer und über dem anderen Auge schwoll eine Beule, groß wie ein Taubenei.
    Er schämte sich. Sie hatte sich dem Bären entgegengestellt, hatte sogar den Mut besessen, auf ihn zu schießen. Er hätte sie nicht anschreien sollen. »Tut mir Leid«, sagte er kleinlaut. »Ich wollte dich nicht… Du hast Recht. Im Dunkeln finde ich ihn nie.«
    Renn ließ sich auf einen Felsen sinken. »Ich hatte ja keine Ahnung. Ich hätte nie gedacht, dass er so …« Sie schlug die Hände vor den Mund.
    Torak zog einen Pfeil aus dem Geröll. Der Schaft war gespalten. »Hast du ihn denn getroffen?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht. Aber ich fürchte, das spielt keine Rolle. Pfeile können ihm nichts anhaben.« Sie schüttelte den Kopf. »Eben noch war er hinter mir her und im nächsten Augenblick hinter Wolf. Wieso?«
    Torak warf den kaputten Pfeilschaft weg. »Ist das wichtig?«
    »Vielleicht.« Sie sah ihn an. »Hast du Steinzähne gefunden?«
    Den Steinzahn hatte Torak ganz vergessen, und als er jetzt in sein Wams griff und den Handschuh herauszog, wollte er ihn einfach nur loswerden. Die Nanuak war schuld daran, dass Wolf womöglich tot war. Kein zärtliches morgendliches Zwicken, keine stürmischen Versteckspiele mehr… Torak biss sich auf die Knöchel, um gegen seine Angst anzukämpfen. Ein Leben ohne Wolf konnte er sich nicht mehr vorstellen.
    Renn nahm ihm den Handschuh ab und drehte ihn hin und her. »Wir haben den zweiten Bestandteil der Nanuak gefunden«, sagte sie nachdenklich, »und dabei den ersten wieder verloren. Aber warum hat Wolf ihn sich geschnappt?«
    Torak konnte ihr nur mit Mühe folgen. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. »Weißt du noch … als wir die Flussaugen gefunden haben … da war es so, als könnte Wolf sie hören oder irgendwie spüren.«
    Renn runzelte die Stirn. »Glaubst du … dass der Bär das auch kann?«
    »›All die strahlenden, strahlenden Seelen‹«, murmelte er. »So hat es der Streuner ausgedrückt. Dämonen hassen die Lebenden, sie hassen das Licht ihrer Seelen.«
    »Und wenn ihnen schon die Seelen gewöhnlicher Geschöpfe zu hell sind«, nahm Renn den Faden auf, erhob sich und ging auf und ab, »wie viel heller, ja blendend hell, muss dann erst die Nanuak sein!«
    »Deshalb hat er dich angegriffen… weil du die Flussaugen hattest …«
    »Und deshalb hat sich Wolf den Beutel geschnappt. Weil er es wusste . Weil…« Sie blieb stehen. »Weil er den Bären von uns weglocken wollte. O Torak, er hat uns das Leben

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