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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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noch gekniet hatte, die Luft zerteilten.
    Wieder brüllte der Bär. Wieder schmiegte sie sich in die Nische. Dann hörte sie andere Geräusche … das Poltern von Stein, das Stöhnen eines sterbenden Baums. Vor der Höhle wütete der Bär in unbändigem Zorn, entwurzelte die Eibe und zerfetzte sie.
    Wimmernd drückte sich Renn an die Wand. Der Fels an ihrer Schulter bewegte sich. Mit einem Schrei wich sie zurück.
    Von der anderen Seite hörte sie Stein bersten, hörte, wie Erde mit tödlicher Entschlossenheit beiseite gescharrt wurde. Jetzt begriff sie, was geschah. Der Fels auf dieser Seite des Spalts war nicht, wie sie gedacht hatte, ein Teil der Höhle, sondern nur eine Steinzunge, die aus dem Boden ragte. Der Bär wühlte an ihrem Fuß herum, grub sie und Wolf aus wie einen Ameisenhaufen.
    Kalter Schweiß trat ihr aus allen Poren. Sie blickte Wolf Hilfe suchend an.
    Erschrocken sah sie, dass er nichts Welpenhaftes mehr an sich hatte. Er hielt den Kopf gesenkt und richtete die Augen auf das Untier vor dem Spalt. Knurrend zog er die schwarzen Lefzen hoch und fletschte die blitzenden weißen Reißzähne.
    Trotz regte sich in ihr. »Wir sind aber keine Ameisen«, flüsterte sie. Der Klang ihrer Stimme machte ihr wieder Mut.
    Sie ließ Wolf von der Leine. Vielleicht konnte wenigstens er entkommen, wenn es ihr und Torak nicht gelingen sollte. Dann tastete sie nach ihrem Bogen. Das kühle, glatte Eibenholz zu berühren, verlieh ihr Kraft. Sie richtete sich auf.
    Konzentrier dich auf dein Ziel, ermahnte sie sich und rief sich den Unterricht in Erinnerung, den ihr Fin-Kedinn erteilt hatte. Das ist das Allerwichtigste. Du musst dich so fest konzentrieren, dass du ein Loch in dein Ziel brennst… Und lass den Zugarm locker, verkrampf dich nicht. Die Kraft kommt aus dem Rücken, nicht aus dem Arm…
    »Vierzehn Pfeile«, sagte sie leise. »Da müsste ich eigentlich ein paar Treffer landen, bevor er mich kriegt.«
    Sie trat aus der Nische heraus, stellte sich ordentlich hin und zielte.

    Torak schlug nach den Wächtern, die in einem ganzen Schwarm um ihn herumflatterten.
    Klauen rupften an seinem Gesicht und seinen Haaren. Eklige Flügel legten sich auf seinen Mund und seine Nase. Irgendwie gelang es ihm, Renns Handschuh überzustreifen und den Steinzahn zu packen. Er war schwerer als erwartet. Dann zog er den Handschuh mitsamt dem Stein darin aus und stopfte ihn in den Ausschnitt seines Wamses.
    »Renn!«, schrie er, als er sich vom Stein abstieß. Sein Schrei wurde von ledrigen Flügeln erstickt.
    Er drosch blindlings auf das stinkende Geflatter ein, aber ohne das Binsenlicht sah er nicht einmal die Hand vor Augen.
    Von hoch oben und kaum vernehmlich kam Wolfs aufgeregtes Jaulen: Wo bist du? Gefahr! Gefahr!
    Er stapfte durch den stinkenden Morast darauf zu, unablässig von den Wächtern bedrängt.
    Grauenhafte Bilder stiegen in ihm auf: Wolf und Renn lagen tot da … genau wie Fa. Warum hatte er sie bloß dort oben »in Sicherheit« zurückgelassen, obwohl die Gefahr doch nur von dort kommen konnte?
    Voller Wut zog er sein Messer und hieb damit nach den Wächtern. Sie schienen der Klinge im Flug auszuweichen. »Davor habt ihr also Angst, was?«, rief er. »Na schön! Dann gibt’s noch mehr davon!« Er ließ die Klinge durch die Luft sausen, und wieder hob sich die dunkle Wolke so weit, dass er sie nicht erreichen konnte. Der Griff erwärmte sich in seiner Hand. Knurrend vor Zorn, pflügte er durch den fauligen Schlamm.
    Als er sich das Schienbein an hartem Stein stieß, wusste er, dass er das Sims erreicht hatte. »Ich komme!«, rief er, zog sich hinauf und machte sich an den Aufstieg.
    Ein Brüllen ließ die Höhle erbeben, so laut, dass es ihn in die Knie zwang. Der Schwarm der Wächter stob auf und verschwand.
    Die Stille nach dem letzten Echo war noch schlimmer. Torak fühlte den Felsen unter seinen Knien, spürte den Steinzahn, der unter seinem Wams pochte. Mühsam richtete er sich auf und tastete sich das schmale Sims hoch. Es war schrecklich steil. Warum hörte er nichts mehr von oben? Was ging dort vor?
    Immer höher kletterte er, bis ihm die Beine wehtaten und der Atem in der Kehle stach. Dann kam er um die letzte Biegung. Das Tageslicht blendete ihn.
    Der Höhleneingang war fünf Schritt von ihm entfernt und breiter, als er ihn in Erinnerung hatte. Der Spalt, durch den er sich vor seinem Abstieg gequetscht hatte, war aufgerissen. Davor stand Renn, eine kleine, aufrechte und unglaublich mutige Gestalt, und

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