Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
Gesicht ins Eis … und fand sein Gleichgewicht wieder.
Wolf trieb ihn von oben jaulend zur Eile an. Schnee regnete ihm ins Haar.
»Weg da!« , fauchte Renn den Welpen an.
Torak hörte, wie sich die beiden balgten. Noch mehr Schnee rieselte herab, dann knurrte Wolf verdrossen.
»Nur noch ein Stückchen«, ermutigte ihn Renn. » Schau nicht nach unten .«
Zu spät. Torak hatte es soeben getan und einen Blick in die schwindelnde, Übelkeit erregende Leere geworfen.
Er reckte sich nach dem nächsten Halt, verfehlte ihn und brach ein Stück Eiskruste ab, das ihn beinahe mitgerissen hätte. Er tastete verzweifelt nach der Kerbe … und das Gehörn grub sich gerade noch rechtzeitig hinein.
Unendlich langsam zog er das rechte Knie an und fand den nächsten Tritt. Als er jedoch das Gewicht vom linken auf das rechte Bein verlagerte, fing sein Knie zu zittern an.
Du bist wirklich ein Schlaukopf, Torak, dachte er, stützt dich ausgerechnet auf das Bein, das du dir beim Sturz verletzt hast! »Mein Knie macht schlapp. Ich kann mich nicht mehr…«
»Doch, du kannst«, drängte Renn. »Streck nach der letzten Kerbe den Arm nach oben, dann zieh ich …«
Seine Schultern brannten, seine Trage fühlte sich an wie mit Steinen gefüllt. Er schob sich mit aller Kraft nach oben, sein Knie drückte sich durch, wollte wieder nachgeben… da packte ihn eine Hand am Schulterriemen der Trage und er wurde halb aus dem Loch gezogen, halb schob er sich hinaus.
Keuchend lagen Torak und Renn am Rand des Eislochs. Dann rappelten sie sich hoch, wankten ein Stück von den Eisklippen weg und ließen sich in eine pudrige Schneewehe fallen. Wolf hielt das alles für ein großartiges Spiel und tollte mit breitem Grinsen um sie herum.
Renn lachte vor Erleichterung. »Das war aber knapp! Von jetzt an passt du auf, wo du hintrittst!«
»Ich werd’s versuchen«, schnaufte Torak. Er lag auf dem Rücken und ließ sich die Wangen von der Brise streicheln. Hoch oben am Himmel schoben sich zarte weiße Wolken wie Blütenblätter übereinander. So etwas Wunderschönes hatte er noch nie gesehen.
Hinter ihm scharrte Wolf im Eis.
»Was hast du da?«, fragte Torak.
Aber Wolf hatte seinen Schatz bereits ausgebuddelt, schleuderte ihn hoch in die Luft und fing ihn mit dem Maul auf. Das war eins seiner Lieblingsspiele. Er sprang hoch, um ihn noch im Flug zu erwischen, kaute ein bisschen darauf herum, kam dann herübergerannt und spuckte ihn Torak ins Gesicht. Noch ein Lieblingsspiel.
»Aua!«, rief Torak. »Was soll das?« Erst jetzt sah er, worum es sich handelte. Das Ding hatte ungefähr die Größe einer kleinen Faust: braun, pelzig und unnatürlich platt – vielleicht war es auch unter einen Eissturz geraten? Der wütende Ausdruck in dem kleinen Gesicht kam Torak unsäglich komisch vor.
»Was ist das?« Renn nahm einen Schluck aus dem Wassersack.
Torak konnte sich das Lachen kaum verbeißen. »Ein gefrorener Lemming.«
Renn platzte los und prustete Wasser übers Eis.
»Platt gedrückt«, japste Torak und wälzte sich im Schnee. »Sieh dir nur sein Gesicht an! Völlig … verdattert!«
»Hör auf!«, kreischte Renn und hielt sich die Seiten.
Sie lachten, bis sie Bauchschmerzen bekamen, während Wolf voller Stolz um sie herumsprang und den gefrorenen Lemming immer wieder in die Luft warf und auffing. Am Schluss schleuderte er ihn besonders hoch, vollführte einen spektakulären Drehsprung und verschlang ihn mit einem Haps. Dann befand er, dass ihm heiß war, und ließ sich in eine Pfütze Schmelzwasser plumpsen, um sich abzukühlen.
Renn setzte sich auf und trocknete sich die Augen. »Legt er einem seine Funde auch vor die Füße oder wirft er sie einem immer nur ins Gesicht?«
Torak schüttelte den Kopf. »Ich hab schon versucht, ihm das beizubringen, aber er weigert sich.«
Dann setzte er sich auf. Es wurde merklich kälter. Der Wind hatte zugenommen, pulvriger Schnee strich wie Rauch über den Boden und die Wolken verdeckten jetzt die Sonne.
»Sieh mal«, sagte Renn und zeigte nach Osten.
Er drehte sich um und sah, wie sich Wolken über den Eisklippen auftürmten. »Auch das noch«, ächzte er.
»Auch das noch«, bestätigte Renn. Sie musste schon die Stimme heben, um den Wind zu übertönen. »Ein Schneesturm.«
Der Eisfluss war erwacht. Und er war sehr wütend.
Kapitel 25
DER ZORN DES Eisflusses brach mit furchtbarer Wucht über sie herein.
Torak musste sich in den Wind lehnen, nur um stehen zu bleiben, und seinen Umhang
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