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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Schmelzwasserpfützen im Schnee, die blauer waren als alles, was Torak je gesehen hatte. Es wurde immer wärmer. Am späten Nachmittag stand die Sonne direkt über den Klippen und in kürzester Zeit verwandelten sich die Schatten in grellweißes Gleißen. Bald fing Torak unter seinem Schilfumhang zu schwitzen an.
    »Hier«, sagte Renn und reichte ihm einen Streifen Birkenbast. »Schneid Schlitze hinein und binde es dir vor die Augen, sonst wirst du schneeblind.«
    »Ich dachte, du bist noch nie so weit im Norden gewesen.«
    »War ich auch nicht, aber Fin-Kedinn schon. Er hat mir davon erzählt.«
    Es gefiel Torak nicht, durch einen schmalen Schlitz zu spähen, wo er doch eigentlich wachsam sein sollte, weil immer wieder Schneeplatten oder riesige Eiszapfen krachend von den Klippen stürzten. Nach einer Weile stellte er fest, dass Renn immer weiter zurückblieb. Das war ungewöhnlich, normalerweise war sie eher schneller als er.
    Er wartete, bis sie aufgeholt hatte, und sah erschrocken, dass ihre Lippen eine bläuliche Färbung angenommen hatten. Er erkundigte sich, ob es ihr nicht gut ginge.
    Sie schüttelte den Kopf und blieb vorgebeugt stehen. »Das geht schon den ganzen Tag so«, sagte sie schwer atmend. »Ich fühle mich … wie ausgezehrt. Ich glaube … ich glaube, es liegt an der Nanuak.«
    Torak fühlte sich schuldig. Er hatte sich ganz auf die Überquerung des Eisflusses konzentriert und vergessen, dass Renn all die Zeit den Rabenhautbeutel trug. »Gib ihn mir«, sagte er, »wir wechseln uns ab.«
    Sie nickte. »Aber dafür trag ich den Wassersack, das ist nur gerecht.«
    Sie tauschten. Während Torak den Beutel mit der Nanuak an seinen Gürtel band, blickte ihm Renn über die Schulter, um zu sehen, wie weit sie schon gekommen waren. »Wir sind viel zu langsam. Wenn wir bei Einbruch der Nacht nicht drüben sind…«
    Sie brauchte den Satz nicht zu beenden. Torak stellte sich vor, wie sie eine Schneehöhle buddelten und sich im Dunkeln aneinander schmiegten, während sich der Eisfluss stöhnend hob und senkte. »Glaubst du, wir haben genug Feuerholz?«
    Wieder schüttelte Renn den Kopf.
    Bevor sie sich auf den Weg den Hang hinauf gemacht hatten, hatten sie jeder ein Bündel Feuerholz gesammelt und ein kleines Feuer zum Mitnehmen vorbereitet. Dazu hatten sie erst ein Stück schwammartigen Zunderpilz, der auf abgestorbenen Birken wächst, zerschnitten und angezündet, dann die Flammen so weit ausgeblasen, dass der Zunder nur noch schwelte. Anschließend hatten sie ihn in Birkenrinde eingerollt, die Rinde an einigen Stellen durchbohrt, damit das Feuer atmen konnte, und die Rolle mit Bartflechten zugestöpselt, damit es weiterschlief. So konnte man das Feuer den ganzen Tag mit sich herumtragen, friedlich schlummernd und doch jederzeit bereit, mit ein wenig neuem Zunder und Pusten geweckt zu werden, wenn man es brauchte.
    Torak schätzte, dass sie genug Holz hatten, um die ganze Nacht ein Feuer zu unterhalten. Kam jedoch ein Sturm auf und sie mussten sich tagelang eingraben, würden sie erfrieren.
    Sie stapften weiter, und bald verstand Torak, warum die Nanuak Renn so ermüdet hatte. Schon jetzt spürte er ihr Gewicht.
    Plötzlich blieb Renn stehen und riss sich den Birkenbast von den Augen. »Wo ist der Fluss geblieben?«, keuchte sie.
    »Was?«, sagte Torak.
    »Das Schmelzwasser! Mir ist gerade aufgefallen, dass die Spalte nicht mehr da ist. Meinst du, das bedeutet, dass wir endlich von den Klippen wegkommen?«
    Torak nahm seinen Birkenbastschutz ab und blinzelte gegen den Schnee an. Das Licht war so grell, dass er kaum etwas sah. »Ich kann ihn immer noch hören«, sagte er und stapfte weiter, um der Sache auf den Grund zu gehen. »Vielleicht ist er nur tiefer unter den …«
    Es geschah ohne jede Vorwarnung. Kein Riss im Eis, kein dumpfes Donnern einbrechenden Schnees. Eben noch setzte Torak einen Schritt vor den anderen, im nächsten Augenblick stürzte er ins Bodenlose.

Kapitel 24

    TORAK SCHRAMMTE sich das Knie so böse, dass er vor Schmerz laut aufschrie.
    »Torak!«, hörte er Renn flüstern. »Geht’s dir gut?«
    »Ich… glaub schon«, erwiderte er. Aber das stimmte nicht. Er war in ein Eisloch gefallen. Nur ein schmales Sims hatte ihn davor bewahrt, noch tiefer und damit in den Tod zu stürzen.
    Im bläulichen Dämmerlicht sah er, dass der Schacht so schmal war, dass er die Wände mit ausgestreckten Armen berühren konnte, nach unten jedoch schien er kein Ende zu nehmen. Ganz fern hörte er den

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