Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
dazu herab, ihn zu schlagen. Einer ihrer Männer brachte ihr Pferd und half ihr in den Sattel. Ohne einen Blick zurück ritt sie davon. Bis auf die schwarze Trense und den taubengrauen Schweif war ihr Pferd strahlend weiß. Glöckchen, bunte Bänder und Kristalle waren in seine seidenglatte Mähne eingeflochten, seine Hufe in Silber gegossen, sein Zaum aus gewebter grüner Seide gefertigt. Das leise Klingeln des Zaumzeugs war das einzige Geräusch, das Kates Ausritt begleitete und die fassungslose Stille durchbrach. Ihr Hauptmann sah Conal verächtlich an, wie Conal noch nie jemand anzusehen gewagt hatte. Ich ertrug das nicht und richtete meinen Blick gen Himmel. Und da sah ich den Raben. Den Raben, der still und regungslos oben auf der Brüstung hockte und uns beobachtete.
Ich schaute meiner Königin nach, bis sie auf ihrem Glitzerpferd die Festung verlassen hatte und sich die Tore hinter ihr schlossen.
„Jesus, Maria und Josef“, stieß ich aus. „Hast du das arme Pony gesehen? Und glaubt sie diesen hirnlosen Schwachsinn eigentlich selber, den sie da erzählt?“
Conal prustete vor Lachen, und das war das Zeichen für die Clansleute, dass auch sie sich Luft machen durften. Ihre aufgestaute Anspannung entlud sich in brüllendem Gelächter, was die Gefolgsmänner Kates, die zurückgeblieben waren, sichtlich verdutzte. Die ehrfürchtige Stille war gebrochen. Ich freute mich, in dem allgemeinen Tumult immer lauter werdende Stimmen mit königsfeindlicher Gesinnung zu hören.
„Wo hast du denn den Satz aufgeschnappt?“, fragte Conal und legte seinen Arm um mich.
„Ach, von einem alten reisenden Weber in der Anderwelt, der letztes Jahr ins Dorf kam. Ich finde, in diesem Fall passt der Spruch wie angegossen.“
„Allerdings“, sagte er grinsend. „Hoffen wir bei den Göttern, dass sie ihn nicht gehört hat. Aber so viel Glück hast du vermutlich nicht.“
Sein Lachen geriet ins Stocken, als er an mir vorbeisah, und verwandelte sich in ein strahlendes Lächeln. „Rionna!“
Mein Herz setzte einen Schlag aus, warum genau, wusste ich nicht. Die Frau, die auf Conal zukam, war eine der schönsten, die ich je gesehen hatte. Sie trug ein aufwendig besticktes Leinenhemd, seidene Hosen, robuste schwarze Lederstiefel und einen filigran gearbeiteten Mantel aus reiner Seide, wie auch Leonora ihn getragen hatte. Ihr Haar war rabenschwarz und fiel ihr glatt über die Schultern wie ein Wasserfall. Ihre Augen waren bläulich wie eine Eisscholle in der klaren Wintersonne und mit funkelnden Tränen gefüllt.
„Cù Chaorach, du Narr!“ Sie schlang ihre Arme um Conal und presste ihren Kopf an seinen, und als er die Umarmung erwiderte, schloss sie die Augen. „Warum musstest du dich ihr widersetzen?“
Er zuckte nur die Achseln und drückte sie fester an sich.
„Du hast sie schon dazu gebracht, dich zu verbannen, und du wärst fast dabei draufgegangen! Conal, du Idiot! Bitte, bitte bring sie nie wieder so in Rage.“
Das machte mich wütend. „ Er hat sie dazu gebracht? Das hat sie aus freien Stücken entschieden, er hat sich doch nicht selbst verbannt!“
Sie öffnete die Augen und musterte mich. Ihr Blick wurde kalt und hart wie heißer Stahl, den man zum Abkühlen ins Wasser getaucht hatte.
„Das ist wohl dein Bruder, was?“
Conal löste sich aus der Umarmung, ließ aber einen Arm auf ihren Schultern liegen. „Ja, das ist Seth.“
Ich spürte ihre Verachtung wie eine Nebelbank zu mir herüberziehen. Sie war eine typische Hofdame: überheblich und mit einem angeborenen Standesdünkel. Ich meinte, mich aus Kindertagen an sie zu erinnern, ich hatte sie wohl in Kates steinernen Höhlen schon einmal gesehen, aber vielleicht verwechselte ich sie auch. Für mich sah eine Hofdame aus wie die andere. „Sag mir bitte, dass sie nicht meine Schwester ist.“
„Das kann ich dir auch selbst sagen“, antwortete Rionna. „Ich bin nicht deine Schwester. Den Göttern sei Dank.“
„Na wunderbar.“ Conal verdrehte die Augen. „Ihr seid nicht miteinander verwandt, ihr müsst euch nicht mögen. Aber seid wenigstens nett zueinander, ja?“
Ganz bestimmt. Rionna und ich hassten uns vom ersten Augenblick an und für den Rest unseres Lebens. Aber bei den Göttern, wir verstanden einander. Und das war wahrscheinlich genau das Problem.
Dennoch, bei diesem allerersten Aufeinandertreffen übten wir beide eine kühle Faszination aufeinander aus. In vielerlei Hinsicht waren wir uns ähnlich, und dennoch wirkte unser Treffen
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