Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
Die Kämpfer waren schon so nahe gekommen, dass der Lärm meine Ohren betäubte und meinen Verstand vernebelte. Während ich die heimtückischen, in den Abhang gehauenen Steinstufen hinuntereilte, wagte ich es nicht zurückzuschauen. Ganz unten im Dunkeln klaffte der Schlund des Brunnens, der mir nun gar nicht mehr verlockend erschien, sondern vielmehr so aussah, als wollte er mich in einem Stück verschlingen. Ich fürchtete mich davor, in das schwarz schimmernde Wasser zu gehen, aber noch mehr fürchtete ich, nicht schnell genug nach unten zu gelangen. Ich umklammerte die Mauer des Brunnens, schürfte mir die Handfläche auf und verlor fast das Gleichgewicht. Dann tauchte ich einen Fuß bis zum Knöchel in das kühle Nas s – und erstarrte vor Angst. Aber die Schreie wurden immer lauter, der Klang des Stahls wurde immer bedrohlicher und immer deutlicher vernahm ich das Stöhnen und Brüllen der Sterbenden. Ich tastete mit den Fingerspitzen nach einem Steinvorsprung, drehte mich und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Innenwand, damit man mich nicht entdeckte. Ich stand jetzt bis zu den Hüften im Wasser, aber es war mir egal, ob die Kälte sich wie ein mit Reißzähnen gespicktes Maul aus der Unterwelt in mein Fleisch bohrte.
Zwei Männer folgten mir miteinander kämpfend die Stufen in den Brunnen hinunter. Ich wich weiter zurück in die undurchdringliche Dunkelheit. Ich sah den Widerschein einer Flamme über die schwarze Oberfläche flitzen, aber als die winzigen Wellen, die ich erzeugte, davonrollten, flackerte das Licht kurz und erlosch. Ich versuchte lautlos zu atmen, aber es fiel mir schwer.
Doch dann erledigte sich dieses Problem von selbs t – ich hörte nämlich auf zu atmen. Stahl krachte auf Stahl, das angestrengte Keuchen von Männern, die nichts anderes im Sinn hatten als einander zu töten, drang an mein Ohr. Der eine taumelte rückwärts und ich hörte, wie sein Schwert ganz in meiner Nähe über Stein kratzte. Das Klirren des Metalls hallte nun von der Unterseite des steinernen Daches wide r – die Männer befanden sich im Brunnengewölbe. Der eine stöhnte, als er einen Schlag parierte, und ich erkannte seine Stimme. Es war mein Vater.
Wäre es Conal gewesen, ich wäre ihm sofort zu Hilfe geeilt, das schwöre ich. Aber es war nicht Conal und meinen Vater kannte ich doch kaum. Außerdem war ich vor Angst wie gelähmt. Und so konnte ich nur dastehen und zusehen, wie der Schein der Fackel wieder übers Wasser tanzte, als Alasdair Kilrevin meinen Vater in Richtung des schwarzen Wassers zurückdrängte. Selbst von meinem Versteck aus konnte ich sehen, wie ermattet sie waren. Offensichtlich dauerte dieser Kampf schon viel zu lange und keiner von beiden war mehr zu schnellen Bewegungen in der Lage. Ihr Kampf glich eher einem unbarmherzigen, blutigen Wechsel von Angriff und Parade.
Griogair war so angeschlagen, dass ich mich fragte, wie er überhaupt noch aufrecht stehen, geschweige denn kämpfen konnte. Und doch jagte er mir Angst ein, selbst in diesem Augenblick. In seinem Gesicht klaffte ein großer Schnitt von der rechten Schläfe bis zum linken Wangenknochen und gewiss war er auf einem Auge erblindet. Seine Arme und der Brustkorb waren mit breiten Wunden übersät. Es sah aus, als hätte eine riesenhafte Katze oder ein wohlgenährter Wolf mit ihm gespielt. Mir fiel wieder ein, wie Kilrevin auch genannt wurde: der Wolf. Jetzt wusste ich warum. Aber nicht nur die Verletzung entstellte Griogairs Gesicht, auch seine Wut und sein Hass. Kilrevin hingegen lächelte, während er meinen Vater immer weiter zurückdrängte.
Griogair blieb mit dem Fuß an der letzten, unebenen Stufe hängen und stolperte rückwärts nach unten. Kilrevin hechtete hinter ihm her und ließ sein Schwert fallen, nachdem mein Vater das seine verloren hatte. Eine Sekunde später umschlang Kilrevin die Kehle meines Vaters mit bloßen Händen und drückte sein entstelltes Gesicht unter Wasser.
Zwischendurch musste ich wohl doch geatmet habe n – meinem Vater jedoch blieb keine Gelegenheit mehr, noch einen allerletzten Atemzug zu tun. Kilrevin setzte sich rittlings auf ihn und drückte ihn ins Wasser. Griogairs Arme ruderten wild durch die Luft, dann zuckten sie nur noch, dann erschlafften sie.
Reglos presste ich mich an den Stein. Ich durfte keine Welle erzeugen, jetzt, da Kilrevin so nah war und auf den dümpelnden Körper meines Vaters hinabstarrte. Noch einmal zuckte Griogairs Hand, also hob Kilrevin sein Schwert auf und
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