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Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen

Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen

Titel: Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Philip
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Erde?“ Ich versuchte nicht allzu abfällig zu klingen. Andere Länder, andere Sitten. „Also, was machen wir jetzt? Am besten vergraben wir es so schnell wie möglich. Ehe es verwest.“
    „Aber es brauch t … es würde sich wünschen, das s …“
    Ich warf ihm einen ungläubigen Blick zu. Es ist doch gar nicht mehr in der Lage, sich etwas zu wünschen.
    „Ich weiß, abe r …“ Vorsichtig legte Conal das Kind wieder auf den Tisch, schlug die restlichen Lumpen auseinander, warf einen flüchtigen, letzten Blick auf den winzigen, nackten Körper und bedeckte ihn dann wieder. „Es ist ein Mädchen.“
    „Und?“
    „Ich will sie nur nicht mehr ,es‘ nennen. Hör zu, wir können sie nicht einfach s o … in die Erde legen. Wir müssen den Seelsorger holen.“
    „Bist du völlig übergeschnappt?“
    Er hatte dieses sture Funkeln in den Augen, das mir immer weniger gefiel. „Es ist nicht nur wegen ihrer Gebräuche. Es is t … Ich möchte das nicht ohne sein Wissen tun. Sonst kriegen wir vielleicht Ärger. Ich muss ihn um Rat fragen.“
    „Meiner Meinung nach kriegen wir am meisten Ärger, wenn irgendjemand davon erfährt.“
    „Zu spät“, sagte Conal. „Wer auch immer dieses Kind ausgesetzt hat, weiß davon. Bei allen Göttern, dachten sie wirklich, ich würde die Kleine schneller finden? Sie lag ganz in der Nähe. Am Rande der Lichtung. Verdammt, verdammt, verdammt!“
    Mit jeder Sekunde hasste ich Kate mehr dafür, dass sie uns verbannt hatte. Noch nie hatte ich Conal unsicher und unentschlossen erlebt, noch nie hatte er nicht gewusst, was er tun sollte. Zum allerersten Mal war ich derjenige, der ihn beruhigen musste, der Entscheidungen fällen musste. Und ich war mir alles andere als sicher, ob mir diese Rolle behagte. Außerdem war es sinnlos, Entscheidungen zu treffen, wenn Conal sie am Ende sowieso nicht akzeptierte.
    „Lass es uns begraben“, sagte ich.
    „Sie.“ Er schüttelte traurig den Kopf. „Sie. Ich hole den Seelsorger.“
    Ich blieb neben dem Kin d – neben ih r – sitzen, solange Conal weg war. Wäre es ein Hund oder ein Pferd gewesen, ich hätte es allein gelassen und mich meinen Aufgaben gewidmet, oder ich hätte mich gezwungen, in das Buch zu starren, von dem Conal wollte, dass ich es las. Aber aus irgendeinem Grund brachte ich es nicht übers Herz, diesem Wesen den Rücken zuzukehren. Anklagend lag es da in seinem Lumpenbündel.
    Aber es hatte keinen Sinn mehr, es zu bemitleiden. Also versuchte ic h – wenn auch vergeblic h –, jene Person zu bemitleiden, die es ausgesetzt und dem Tode überlassen hatte. Oder einem anderen Schicksal. Vielleicht hatte jemand das Kind wirklich in der Hoffnung abgelegt, Conal würde es rechtzeitig finden. Vielleicht war Conal die letzte Hoffnung gewesen. Plötzlich verstand ich die Bestürzung in seinen Augen, verstand seine Verzweiflung. Was soll ich jetzt nur tun?
    Er hätte gar nichts tun können, absolut nichts, das war vom ersten Augenblick an klar gewesen. Wie Vollsterbliche wohl reagierten, wenn ihre letzte Hoffnung erloschen war?
    „Ärger“, sagte ich laut. „Das gibt Ärger.“
    Ich beugte mich über den Leichnam, begann die Lumpen von ihm abzuwickeln. In der Gerberei hatte ich einmal Lederstreifen gesehen, die zum Trocknen auf einer Leine hingen. Genauso wirkten diese Wickel jetzt auf mic h – wie tote, gegerbte Haut, die straff über ein Knochengerüst gespannt war. Ich schaute auf die Augenlider des Kindes, fast so, als würde ich eine Bewegung dahinter erwarten, als könnte ich sehen, wie sich hinter ihnen die Augäpfel rasch hin und her bewegten, als würde es träumen, vom Tageslicht träumen. Eine Fliege ließ sich summend auf den hauchzarten Wimpern nieder. Selbst jetzt glaubte ich noch, das Kind würde jeden Augenblick blinzeln, sich bewegen, weinen. Aber es blieb starr. Ärgerlich verscheuchte ich die Fliege, die sich jedoch nicht lange vertreiben ließ.
    Ich verspürte das Verlangen, das Kind hochzuheben, so wie Conal es getan hatte. Ich wollte seinen Kopf an meinen Hals betten und ihm Wärme und Leben spenden. Was für eine dumme Idee! Ich schüttelte den Kopf und rieb mir die roten, müden Augen. Ich wusste, dass der Gott der Anderweltler Menschen wieder zum Leben erwecken konnte. Sollte er doch, wenn ihm danach war! Meine Aufgabe war das nicht.
    Meine Götter gaben keine aberwitzigen Versprechen. Sie blieben stets unter sich, mein Leben interessierte sie gar nicht. Und so war es ja auch richtig. Ich war froh, dass sie

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