Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
sich nicht in mein Leben einmischten. Mir womöglich noch Schuldgefühle eintrichterten, dass ich überhaupt geboren worden war. Ich hatte die Nase voll von solchen Göttern! Märtyrer beeindruckten mich nicht, Richter jagten mir keine Angst ein und selbst die launischen Kriegsgötter der Griechen und der Römer ließen mich kalt. In jeden Kampf mischten sie sich ein, schlugen sich willkürlich auf die Seite ihres Günstlings und überzogen die tapferen Krieger auf der anderen Seite des Schlachtfelds mit Tod und Verderben. Götter! Nichts als Hirngespinste, die ein blasses Leben und einen noch blasseren Tod mit Leben füllen sollen.
Ich beobachtete das Kind noch eine Weile. Aber sein Gott schien kein Interesse mehr an ihm zu haben. Als die Fliege sich auf dem Tisch neben dem Leichnam niederließ, ergriff ich die Chance und zerquetschte sie mit einem raschen Schlag. Matschig und schmierig klebte sie an meinen Fingern. Angewidert rieb ich sie an meiner Hose ab und wusch mir anschließend die Hände mit dem eiskalten Wasser aus dem Eimer in der Ecke. Mit ebenso eiskalten Händen wickelte ich das Kind wieder ein, bedeckte sein Gesicht, um weitere Fliegen fernzuhalten.
Als der Seelsorger kam, packte er das Mädchen als Erstes wieder aus. Ich hätte ihm am liebsten auf die Finger gehauen.
„Nicht getauft“, sagte er kopfschüttelnd.
Aha, daher hatte der Gott so wenig Interesse an ihr gezeigt. Ich verzog keine Miene.
„Was spielt das für eine Rolle?“, fragte Conal. An dem nervösen Blick des Geistlichen und dem Zucken um seine Mundwinkel konnte ich erkennen, dass Conals Frage ein Fehler gewesen war.
„Für mich? Gar keine“, sagte der Priester. Er griff in einen kleinen Lederbeutel und förderte eine mit Öl gefüllte Phiole zutage. „Für andere dagegen schon.“
„Sollen wir si e … ich mein e … muss sie nicht begraben werden?“, fragte Conal zögerlich.
Der Priester warf ihm einen flüchtigen Blick zu. „Natürlich muss sie begraben werden. Aber nicht auf einem Friedhof, nicht in geweihter Erde. Soll ich mit den Vorbereitungen beginnen?“
Conal sah mich verunsichert an und zuckte die Achseln. Ich verzog zur Antwort das Gesicht.
Andere Sitten, sagte ich.
Verdammt unverständliche Sitten, gab er zurück.
Und was soll geweihte Erde sein?
Keine Ahnun g – vielleicht dasselbe wie heiliger Boden?
Aber was genau verstehen die darunter, ist das anders als bei uns?
Was weiß ic h …
Conal schaute zum Priester, der über dem Gesicht des Kindes mit den Fingern immer wieder ein Kreuz beschrieb. Dabei murmelte er leise. Als er mit seiner seltsamen Zeremonie fertig war, trat er einen Schritt zurück und sah mit einem mitleidigen Lächeln zu Conal. „Es gibt Leute, die behaupten würden, dass das Kind in der Zwischenwelt gefangen ist und nicht in den Himmel eingelassen wird. Aber sei versichert: Ich persönlich glaube das nicht.“
„Natürlich nicht“, gab Conal zurück und versuchte so zu tun, als hätte er irgendetwas von diesem Gerede verstanden.
„Können wir jetzt ein Loch für die Kleine graben?“, fragte ich.
Mit einem Blick gab mir der Priester mehr als deutlich zu verstehen, dass ich mit dieser Frage ins Fettnäpfchen getreten war. Also setzte ich mein unschuldigstes Lächeln auf, das er kurz darauf erwiderte. Am liebsten hätte ich ihm seine verständnisvolle Mitleidsmiene aus dem Gesicht geprügelt.
Conal gab sic h – der düsteren Stimmung zum Trot z – alle Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. Ich konnte es an seinen zusammengepressten Lippen erkennen.
„Ich nehme sie mit“, sagte der Priester. „Es ist besser, wenn ihr nicht dabei seid.“
Conal starrte ihn wortlos an.
„Ich werde sie beerdigen, das verspreche ich“, sagte der Priester sanft. „Im Birkenhain, ein wunderschöner Ort, ich habe da scho n …“ Er räusperte sich. „Ich habe schon andere vor ihr dorthin gebracht.“
Conal verschränkte die Arme vor der Brust und nickte.
„Ich denke, ihr versteh t …“, fuhr der Priester fort und warf mir einen Seitenblick zu. „Es ist besser, wenn ihr da nicht mit hineingezogen werdet. Alle beide.“
„Ich verstehe“, sagte Conal. „Vielen Dank.“
Der Priester wickelte die Leinenfetzen wieder um das Kind und nahm es auf den Arm. „Danke, dass du mich gerufen hast, mein Sohn.“
Mein Sohn? Conal war Griogairs Sohn, nicht seiner! Ich wollte gerade protestieren, aber Conal gab mir kraft seiner Gedanken zu verstehen, dass ich besser den Mund halten sollte.
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