Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
beiden Welpen. Sie blieben am Eingang des Dachsbaus zurück, als ich es ihnen befahl, und machten keine Anstalten, mir zum Haus hinunter zu folgen. Schweigend und sehr viel vorsichtiger als zuvor stieg ich den Hügel hinab. Eine kleine Ewigkeit verharrte ich im Schatten der Birken, war selbst nicht mehr als ein Schatten, aber niemand hielt Wache. Ich nahm keinerlei Bewegung wahr, hörte weder Getrampel noch Spuckgeräusche von unaufmerksamen Wachen. Vielleicht hatten sie kein Interesse mehr an mir. Vielleicht hatten sie schon, wa s – oder we n – sie wollten.
Im Haus herrschte ein heilloses Durcheinander. Die wenigen unserer Habseligkeiten, die sie zurückgelassen hatten, lagen verstreut auf dem Boden. Das Schlimmste war, dass unsere Waffen fort ware n – wen wunderte es. Offensichtlich hatten die Eindringlinge erfolglos versucht, das Haus in Brand zu stecken, und wie es schien, ziemlich schnell die Lust verloren. Die Tür und alle Bretter waren verschwunden, genau wie Brot und Mehl aus der Speisekammer. Das Strohdach bestand nur noch aus verkohlten Resten, womit sich zumindest die Mäuseplage erledigt hatte. Unsere Kleidungsstücke hatten sie nicht gestohlen, sondern verbrannt. Der Boden war an vielen Stellen schwarz und beißender Rauch hing in der Luft. Eigentlich war es fast wie immer, denn die Feuerstelle hatte die Hütte ohnehin ständig mit Rauch und Ruß gefüllt. Ich griff mir einen spitzen Stock und stocherte nach dem Loch in der steingesäumten Feuerstelle, das wir als Fleischlager ausgehoben hatten. Das geschlachtete Reh war noch da; es stank schon ziemlich, aber den Wölfen würde das nichts ausmachen.
Mir auch nicht, ehrlich gesagt.
Es war das beste Reh, das ich je gegessen habe. Ich zog das Fleisch mit den Zähnen vom Knochen und verschlang es roh. Ich schaute nicht einmal nach, ob sich vielleicht etwas in den Fleischstücken bewegte. Wozu auch. Ich hatte Hunger und meine Mahlzeit würde mich nicht umbringen. Hoffte ich zumindest. Es war sicher immer noch besser als das, was Conal bekam.
Der Gedanke daran verdarb mir sofort den Appetit. Ich packte ein paar Fleischstücke in einen verkohlten Leinenfetzen, der einmal Conals Hemd gewesen war, und machte mich auf den Weg zurück. Die Welpen warteten auf mich, keine hundert Meter vom Eingang des Dachsbaus entfernt. Ihre Schnauzen waren noch feucht, sie hatten vermutlich gerade aus dem Bächlein getrunken. Kluge, gehorsame Tiere.
Ich stopfte die stinkenden Fleischstücke in den Bau, dann las ich die beiden Wölfe auf und drückte sie an mich. Meine Tränen tropften auf ihr Fell. Mit ihren warmen Zungen leckten sie mir übers Gesicht und winselten.
„Bleibt hier“, flüsterte ich ihnen zu. Ich wagte nicht, es laut auszusprechen. „Ihr bleibt ganz ruhig hier, bi s … bis wir zurückkommen.“
Ich wusste nicht einmal, wo ich mit der Suche anfangen sollte, un d – Schleier hin oder he r – ich konnte nicht einfach wieder ins Dorf spazieren. Am Waldrand angekommen kehrte ich der Siedlung den Rücken und lief in die andere Richtung, so weit mich meine Füße trugen. Wenn ich jemanden kommen hörte, schlug ich mich rasch in die Büsche und versteckte mich. Die Nacht brach herein, der Himmel war mondlos, aber voller Sterne, und in der Ferne glänzte ein Kometenschwarm. Ich lag in einem Graben, schaute zum Himmel hoch und schmiegte mich in den karierten Rock, den ich von einem Gebüsch gestohlen hatte, auf dem ihn jemand zum Trocknen ausgelegt hatte. Ich konnte mich an diese Dinger immer noch nicht gewöhnen, sie waren rau und kratzig und entsetzlich anzusehen. Aber der Rock wärmte mich mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte. Selbst durchtränkt von Regen und Grabenwasser hielt er die Wärme sicher in meinem Körper zurück. Ich bewunderte die Vollsterblichen zum ersten Mal fast dafür, aus wie wenig Material sie so großen Nutzen zogen.
Bereits vier Stunden nach Mitternacht graute der Morgen in fahlem Licht. Ich hatte endlich einen Plan. Zitternd zog ich meine Hosen aus und wickelte meine karge Wegzehrung, die ich ebenfalls gestohlen hatte, darin ein. Ich hatte ein schlechtes Gewissen wegen der Diebstähle, aber der Hunger war stärker. Mein gutes Hemd war mittlerweile zerschlissen, dreckig und durchnässt genug, um als Bauerngewand durchzugehen. Ich brauchte ein paar Versuche, um den Rock so um meine Hüfte zu wickeln, wie die Vollsterblichen es taten. Dass ich barfuß war, war nur gut: Einige Männer trugen hier zwar Schuhe, jedoch nie so robuste
Weitere Kostenlose Bücher