Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen
löste sich von mir. Sie sah zu mir hoch. „Danke, Seth. Erzähl es bitte niemandem.“
Was? Dass du eine Heilerin bist?, überlegte ich stumm. Oder dass du gerade bitterlich geweint hast?
„Beides“, sagte sie.
Ihr Gesicht war ganz nah an meinem, ihre Augen immer noch tränenverhangen. Ich küsste sie.
Ich konnte einfach nicht anders. Ich spürte, wie sie erschrak, aber das war verständlich. Als sie sich zurückziehen wollte, krallte ich meine Finger in ihre zerwühlten Haare und hielt ihren Kopf, drückte sie leidenschaftlich an mich und küsste sie noch einmal. Meine Hand berührte flüchtig ihre Brust, aber ich schwöre, dass es ein Versehen war. Sie riss sich los und stieß mich mit einer Ohrfeige von sich.
Es war nur ein leichter Schlag, ein kleiner Klaps, wie man ihn einem ungezogenen Welpen verpassen würde, aber es tat mehr weh als die meisten Schläge, die ich seitdem hatte einstecken müssen. Manchmal spüre ich die Ohrfeige heute noch.
Meine Finger waren immer noch in Eilis Haaren verfangen. Ich versuchte sie zu lösen, aber sie stieß mich so heftig von sich, dass ich ihr einige Haare mit der Wurzel ausriss. Als sie mühsam auf die Beine kam, hatte ich rote Haarbüschel zwischen den Fingern.
Sie lief nicht fort und ich konnte nicht aufstehen. Fassungslos stand sie da und ich saß einfach nur vor ihr und glotzte sie verdattert an.
„Ich dacht e …“, stieß ich hervor, „ich dachte, dass d u … dass ic h …“
„Wie konntest du!“ Sie schüttelte langsam den Kopf und bedachte mich mit einem Eisesblick. „Wie kannst du jetzt nur an so etwas denken?“
„Ich weiß nicht, ic h …“
„Ich liebe deinen Bruder, Seth. Ich liebe Conal. Und ich werde immer nur ihn lieben. Wie kommst du bloß auf die Idee, dass ich jemal s …“
Sie brach endlich ab, aber die unausgesprochenen Worte hingen in der abgestandenen Stallluft und waren auch so gut zu verstehen.
… mit dir vorliebnehmen könnte . Das war es, was sie nicht ausgesprochen hatte. Wie kommst du auf die Idee, dass ich mit dir vorliebnehmen könnte?
Sie schüttelte den Kopf und brach unseren Blickkontakt ab. „Ich werde zu ihm gehen. Wenn ich zwanzig bin, werde ich zu ihm gehen, und er wird mich annehmen. Ich weiß es.“
„In seinen Augen bist du ein Kind.“
„Noch.“ Sie zuckte die Achseln und vermied es weiterhin, mich anzusehen. „Aber er liebt jetzt schon die Frau, die ich einmal sein werde. Das weiß er vielleicht noch nicht, aber es ist so.“
Ich musterte sie eindringlich und wusste, dass sie Recht hatte. Sie drehte sich um, mehr aus Scham denn aus Wut, ging hinaus und zog die Stalltür leise hinter sich zu. Ich blieb sitzen und suhlte mich in meiner eigenen Scham und meinem Schmerz. Mir war klar, was ich gerade kaputt gemacht hatte, und ich spürte, wie mein Herz in tausend kleine Stücke zerbrach.
Ein Herz wird stärker, mit jedem Mal, dass es bricht. Ich wusste inzwischen schon besser, wie ich es schützen konnte, zumindest redete ich mir das ein, während ich so dasaß. Ich wagte nicht, in das Abendlicht hinauszutreten, aus Angst, die gesamte Festung wäre dort versammelt und würde mich auslachen. Ich wusste, dass wir die Sache irgendwann klären und damit zurechtkommen würden. Die Sithe lebten einfach zu lang, als dass es irgendeine andere Möglichkeit gegeben hätte. Zwischen Eili und mir würde es nie mehr so sein wie früher, aber wir würden irgendwie darüber hinwegkommen.
Und so geschah es auch. Schon seit Kindertagen war sie immer freundlich zu mir gewesen, aber nach diesem Vorfall war sie geradezu bemüht freundlich. Allerdings hielt sie mich zugleich bewusst auf Abstand und das demütigte mich mehr als alles andere. Ich würde denselben Fehler nicht noch einmal machen, das war nicht meine Art, deshalb war ich zutiefst verletzt, dass sie offensichtlich anders darüber dachte. Ich wusste jetzt, welchen Platz sie mir in ihrem Herzen zugewiesen hatte: Ich rangierte ein ganzes Stück über Sinead und Fraser und irgendwo unter ihrem toten Vater und ihrem Pferd. Und meilenweit unter Conal. Ich hatte meine Lektion gelernt und brauchte keine weitere Unterrichtsstunde.
Ich stand auf und öffnete mit zitternden Händen die Stalltür. Draußen erwartete mich natürlich keine Zuschauermenge, die sich über mich lustig machen wollte. Ich schickte einen Stoßseufzer gen Himmel. Nur ein einsamer Reiter kam mir entgegen, der gerade sein Pferd zum Stall zurückführte. Und dann war da natürlich noch mein
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