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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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sprach, sondern von Scalsi. Corinna jedoch wartete die Antwort nicht ab, sondern kam näher und blieb so dicht neben ihm stehen, dass Andrej die Fackel etwas höher hob, um sie nicht zu verbrennen.
    »Was ist hier geschehen?«, flüsterte sie noch einmal.
    Andrej antwortete auch darauf nicht – wie hätte er es auch gekonnt? Corinna ging an ihm vorbei und hockte sich neben den Haufen stinkender Lumpen, der dem Bewohner dieser Schreckenskammer als Bett gedient hatte. Eine Zeit lang schien es, als starre sie einfach nur die Wand darüber an, doch dann bedeutete sie ihm mit einer Geste, näher zu kommen und ihr zu leuchten.
    Als Andrej gehorchte, erkannte er, was sie – erstaunlicherweise vor ihm – entdeckt hatte. In dem schweren Mauerwerk klaffte eine Lücke, kaum groß genug für die Faust eines Säuglings, aber sehr tief. Der Anblick wollte ihn an etwas zu erinnern, ohne dass es ihm wirklich gelang.
    Offensichtlich erging es Corinna in dieser Hinsicht besser, denn sie legte den Kopf in den Nacken und sah erwartungsvoll zu ihm hoch. Erst als er den Kopf schüttelte und ein hilfloses Achselzucken andeutete, stand sie auf, wandte sich plötzlich schnell um und verließ die Zelle. Andrej warf ihrem Leibwächter einen fragenden Blick zu – den dieser seinerseits mit einem ratlosen Achselzucken beantwortete –, bevor er ihr folgte und gerade noch sah, wie sie in der Zelle verschwand, in der sie den ersten Toten gefunden hatten.
    Sie kauerte bereits neben dem Leichnam, als Andrej sie einholte, und diesmal brauchte er nicht einmal das zusätzliche Licht der Fackel, um es zu erkennen: Auch hier klaffte ein Loch in der Wand, nur etwas größer als das andere.
    Corinna blieb jetzt nur einen Augenblick, bevor sie sich abermals umdrehte und auch die anderen Verliese untersuchte. Andrej war nicht überrascht, in jedem einzelnen dasselbe zu finden. Irgendetwas sagte ihm, er müsse eigentlich wissen, was diese Entdeckung bedeutete, aber es wollte ihm einfach nicht einfallen. Rezzori, der ihm gefolgt war, stellte schließlich die Frage: »Und was hat das zu bedeuten, Contessa?«
    Corinna antwortete ihm nicht. Sie sah nicht einmal in seine Richtung, sondern kniete nur neben dem letzten Ausgang des geheimen Tunnelsystems nieder, das sie offensichtlich entdeckt hatte, und legte den Zeigerfinger auf die Lippen. Dann streckte sie behutsam den Arm aus, um mit den Fingernägeln am rauen Stein unterhalb des Loches zu kratzen.
    Andrej geduldete sich, solange er konnte – was unter den gegebenen Umständen weniger als eine halbe Minute war –, und wollte gerade etwas sagen, als er eine Regung hinter der Mauer spürte. Blitzartig und ohne nachzudenken packte er zu – oder wollte es.
    So unglaublich es ihm selbst erschien, Corinna war schneller. Ihre Hand ergriff das winzige, struppige Etwas, das neugierig seine Schnauze aus dem Loch gesteckt hatte, und schmetterte es mit solcher Wucht gegen die Wand, dass Andrej hören konnte, wie das Rückgrat der Ratte brach. Mit einem erbärmlichen Quieken fiel das Tier zu Boden, und Corinna hob den Fuß und stampfte mit aller Gewalt auf seinen Kopf.
    Als selbst das die Ratte nicht sofort umbrachte, holte sie zu einem zweiten und womöglich noch härteren Tritt aus, doch jetzt hatte Andrej seinen Schrecken überwunden, packte sie am Arm und stieß sie so grob zurück, dass sie gestürzt wäre, wäre sie nicht mit Rezzori zusammengeprallt, der sie festhielt.
    »He!«, protestierte sie. »Was soll –?«
    Andrej brachte sie mit einer schroffen Geste zum Verstummen und bückte sich nach dem sterbenden Tier. Es hatte nahezu aufgehört, sich zu bewegen, und gab nur noch ein leises, jämmerliches Quieken von sich. Andrej konnte regelrecht sehen, wie das Leben aus seinem zerschmetterten Körper wich.
    Viel schlimmer jedoch war das, was er fühlte, als er seinen Widerwillen niederkämpfte und das sterbende Tier in die Hand nahm.
    Da … war etwas. Um ein Haar hätte er die Ratte fallen gelassen. Da war ein Hauch von Unsterblichkeit in ihr, etwas, das sie – fast – zu einem Geschöpf seiner Art machte. Es griff nach ihm, begann lautlos und tückisch wie ein geschmackloses Gift in seine Gedanken zu sickern und sie zu verderben.
    Andrej schloss die Hand mit einem Ruck so hart zur Faust, dass die vermeintliche Unsterblichkeit der Ratte nur noch einen Sekundenbruchteil währte. Rezzori zog verwirrt und nun unübersehbar misstrauisch die Augenbrauen zusammen. Er schwieg, aber hinter seiner Stirn arbeitete

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